Vom Fichtelgebirge Dr. Helmut Reinel, Hauptvorsitzender des Fichtelgebirgsvereins e.V. Vorbemerkung: Am 26.10.2001 tagten die „Fachwarte Wandern“ des Verbandes Deutscher Gebirgs- und Wandervereine in Bischofsgrün. FGV-Hauptvorsitzender Dr. Helmut Reinel begrüßte die Teilnehmer und stellte das Fichtelgebirge vor. Auf dem Gipfel des Ochsenkopfes wird beim Deutschen
Wandertag 2002 die Schlusskundgebung stattfinden. Von allen Seiten
her ist der Berg mit markierten Wanderwegen gut erschlossen. Wer
weniger gut zu Fuß ist, kann von Süden oder Norden die
Seilschwebebahn benutzen, mit ermäßigten Preisen (Hinweise
dazu im Programmheft unter „Vergünstigungen mit der Plakette“). „Ein bergk, hoch, weitt, wohlbekant ligt ... Der bergk ist vast hoch vnd weidt, vnd
ich Das war 1476. Drei Jahrhunderte später war es kein geringerer als J. W. Goethe (1785), der den Berg bei seiner ersten Reise ins Fichtelgebirge von Wunsiedel aus bestiegen hat, sicherlich nicht mit einer Outdoor-Ausrüstung, wie wir sie heute kennen, ohne Fotoapparat, jedoch ausgerüstet mit einem Skizzenblock, und mit einem Tagebuchschreiber als Begleiter. Zwei der Granitfelsgruppen, wie er sie in seinen Skizzen festgehalten hat, konnten erst vor wenigen Jahren in der Natur eindeutig identifiziert werden. Goethe als Naturforscher verdanken wir die erste brauchbare wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung der Granitfelstürme, der Block- und Felsenmeere: die Verwitterung war es, die diese Formen geschaffen hat, nicht gewaltige Sintfluten oder Vulkanausbrüche, womit der Streit der Neptunisten und Plutonisten beendet werden konnte. Hundert Jahre später nach Goethe (er war dreimal im Fichtelgebirge), wurde in Wunsiedel der Fichtelgebirgsverein gegründet, genau 1888. Die dort bestehende „Sektion Fichtelgebirg“ des Alpenvereins wurde aufgelöst und in einen selbstständigen Verein umgewandelt. Seine Aufgabe war es, die Bereisung des Fichtelgebirges zu verbessern, das Fichtelgebirge für Einheimische und Gäste zu erschließen, den Fremdenverkehr zu fördern, letztlich die wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern, aber zugleich Natur und Landschaft zu bewahren. Der FGV hat heute 21.000 Mitglieder in über 50 Ortsgruppen (auch in Nürnberg, Berlin, Plauen und Aš/CS) Dreimal war der FGV in seiner über hundertjährigen
Geschichte bisher Gastgeber eines Deutschen Wandertages: Im Fichtelgebirge sind damals die ersten Porzellanfabriken
entstanden, welche die Landschaft verunzierten, mit ihren Anlagen,
den Scherbenhaufen, mit dem Rauch aus den Brennöfen, aber den
hier lebenden Menschen Arbeit und Brot gaben. Umweltschutz und Schutz
des Menschen am Arbeitsplatz waren zweitrangig, das Fichtelgebirge
war industrielles Entwicklungsland, es kamen sogar Zuwanderer aus
der nahen Oberpfalz, die hier Arbeit fanden und rasch integriert
wurden. In der Oberpfalz und im inneren Fichtelgebirge, auch im
Ascher und im Sächsischen Zipfel, spricht man den gleichen
nordbaierischen Dialekt – hier in Bischofsgrün sind wir im
fränkischen Teil. Dazu eine kleine Kostprobe: Die Porzellanindustrie war viele Jahre der Hauptindustriezweig im inneren Fichtelgebirge, vor allem wichtig nach dem Zweiten Weltkrieg für die vielen „Zuwanderer“, die lieber in ihrer angestammten Heimat geblieben wären. Es waren die Flüchtlinge und Vertriebene aus Schlesien, dem Sudentenland. (Beispiel: 1952 meine Abiturklasse in Selb: 50 % Einheimische, 50 % Flüchtlinge aus dem Sudetenland, aus Schlesien und Ostpreußen). Viele fanden hier eine neue Heimat, sie wurden integriert in den Jahren, als unsere Region nach dem 2. Weltkrieg in eine Totwinkellage geriet: im Norden die Grenze zur alten DDR, im Osten die Grenze zur Tschechoslowakei. Diese Situation änderte sich vor gut zehn Jahren 1989. Wir haben die Vorgänge damals hautnah miterlebt: die Ankunft der Botschaftsflüchtlinge aus Prag mit Zügen über Dresden nach Hof. Und dann kam die Öffnung der Grenzen: Tausende kamen aus der alten DDR, um hier in unserer Region das Begrüßungsgeld zu empfangen, die Straßen im Fichtelgebirge waren total verstopft. Sie kamen in Massen zum Ochsenkopf, um den Berg zu sehen, der sie mit Informationen aus dem Westen versorgt hatte: Der Ochsenkopf - ein Symbol der Freiheit! Diese Euphorie ist heute verflogen. Heute befindet sich das Fichtelgebirge an der Außengrenze der EU. Die europäische Integration und die Osterweiterung haben mit der Öffnung nach Osten immer mehr an Fahrt gewonnen. Hier in unserer Region treten die Chancen, Risiken, auch Probleme und Ängste schärfer zutage als im Innern Deutschlands. Im Norden die Höchstfördergebiete, im Osten die Niedriglohnländer. Hier: das Fördergefälle, die höchste Arbeitslosigkeit in Bayern! Da werden Betriebe aufgelöst, die Produktion nach Tschechien verlagert. Da das Jahr 2002 mit der Einführung des Euro einen besonderen Meilenstein in der Europäisierung setzt, musste wohl der Begriff „Europa“ im Motto unseres Wandertages erscheinen. Durch das Fichtelgebirge führte die Eurowanderung: Wanderer in ihrer Freizeit, Durchzügler, aber wir erfahren es tagtäglich, es gibt auch illegale Wanderer über die Grenzen am Werktag, legale, die hier Arbeit suchen und nach der Übergangsfrist auch legal - vielleicht eine neue Heimat suchen. Daher auch der Begriff „Heimat“ in unserem Motto: „Heimat in Europa“. Muss vielleicht der Heimatbegriff neu definiert werden? Fragen, mit der sich wohl die Fachwarte für Kultur beschäftigen bzw. die Diskussion der Kulturwarte im Herbst 2000 in Otzenhausen fortführen werden. Anmerkungen:
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