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Schwinglmacher aus Mehlmeisel
Ein uraltes Kleingewerbe stirbt aus
Von Anton Böhm
Hochkonjunktur hatten die Schwinglmacher des Fichtelgebirges in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in der sogenannten "Hamster- zeit". Stadtbewohner durchstreiften bäuerliche Gefilde, um zusätzliche Lebensmittel zu ihren kargen Rationen zu "hamstern". In diesen Jahren bewährten sich die Schwingl als begehrtes Tauschobjekt. Die alte Reichsmark hatte ihre Kaufkraft verloren.  In Hof konnte man Textilien, in Arzberg Nägel, in Hersbruck Obst eintauschen. Tabakblätter gegen Schwingl gab es in Schwabbach und den begehrten Birnenschnaps im württembergischen Crailsheim.

Die harte D-Mark setzte mit der Währungsreform vom 20. Juli 1948 das Schwingl außer Kurs. Ein Schwingl war je nach Große noch DM 2,50 oder DM 6,00 wert. Im EURO-Zeitalter schwanken die Preise von 30 bis 40 Euro.
Mit dem Wertverlust verschwanden die Schwinglmacher selbst. Hauptorte der Herstellung waren einst Nagel und Mehlmeisel. Beherrschten in Mehlmeisel vordem an die 60 Familien die Kunstfertigkeit, sind  es heute gerade noch zwei. Woher der Name
Schriftdeutsch sind Schwingl, oder Schwingel, ein aus Holzspänen geflochtener Halbkorb. Bernhard Prechtl aus Mehlmeisel, einer der letzten Schwingl-Macher, hat für die Herleitung des Namens zwei Erklärungen bereit:
1. Wird ein Schwingl auf ebener Fläche abgestellt, schaukelt es infolge seiner Rundung einige Male hin und her, bis es zur Ruhe kommt.

2. Vor langer Zeit wurden die Schwingl als Wiegen benützt. Mit festen Stricken an der Zimmerdecke befestigt waren sie ein idealer Hort für Säuglinge. Durch ein leichtes Anstoßen blieben die Wiegen-Schwingel lange in schwingender Bewegung mit der bekannten einschläfernden Wirkung.

Nur in einem engbegrenzten Raum der nördlichen Oberpfalz, im Fichtelgebirge und im Sechsämterland ist der Name Schwingl heimisch. Weiter südlich spricht man vom Grätzl. Die Frankenwäldler nennen  den Halbkorb Schranze oder Schränzia, seine Hersteller Schranzenbinder. Welche Schwingl gibt es? Im wesentlichen werden drei Arten von Schwingl unterschieden:

1.Das Holzschwingl. Wie es der Name verrät, wurde es zum Tragen  des Brennholzes in die Stube verwendet. Seine Größe wird mit 55 auf 60 cm in der Rundung angegeben. Das Flechtwerk bestand meist  aus Fichtenwurzeln.

2.Das Wäscheschwingel oder Wiedlschwingl. Es hatte eine größere Wölbung als das Holzschwingl, aber sonst von gleichem Ausmaß. Sein Flechtwerk bestand aus Kiefernholz. Benutzt wurden die Wiedlschwingi  zum Tragen der Wäsche im Haushalt. Zudem dienten sie als Kinderwiege.

3.Die Heuschwinge. Das waren die größten, sie hatten ein Maß von 70 auf 85 cm und als Flechtwerk ebenfalls Fichtenwurzeln. Sie waren in der Landwirtschaft unentbehrlich. Bei Heu- und Grummeternte fanden sie ebenso Verwendung wie bei der Viehfütterung im Stall.

Schon ein kleinerer Bauernhof hatte einen Bedarf an  die 20 Schwingen. Eine 20jährige Lebensdauer eines Schwingls war nicht selten. Beschädigte ließ man in den Wintermonaten von fahrenden Schwinglflickern reparieren. Heuschwingen wurden meist von den Seiten her aufgerissen, weil sich beim Füttern im Stall  das Vieh mit seinen Hörner hier verfing, wenn es vorweg vom Heu naschen wollte.

Der Werkstoff Holz

Entscheidend für die Schwinglfertigung war die Beschaffung des passenden Rohmaterials. Im Lauf einer langen Zeit, deren Umfang auf Jahrhunderte geschätzt werden kann, haben sich ganz spezifische Erfahrungen entwickelt, für welche die wissenschaftliche Holzkunde heute noch keine Erklärungen findet. Es wird sich wie bei den Mondphasen verhalten, deren vermeintliche Wirkung vom Fachmann nicht bestätigt werden kann.

Der älteste urkundliche Hinweis auf ein Schwingl datiert für das Fichtelgebirge vom Jahre 1753. In der Abrechnung für den Bau der kath. Kirche in Oberwarmensteinach ist der Ankauf von zwei Schwingl zum Transportieren kleinerer Bausteine vorgetragen.
Drei Bestandteile formen ein Schwingl, der Außenbogen oder  äußerer Reif, die Spanhölzer oder Steckschienen, welche die  Innentragfläche stabilisieren, und das Flechtwerk, welches alles  zusammenhält.

Für den Außenbogen wurden zwei gut daumenstarke Jungfichten benötigt, deren Beschaffung keine Schwierigkeiten bereiteten. Völlig anders verhielt es sich mit dem sonstigen Material.

Die Spanhölzer oder Steckschienen konnten nur aus bestens geformten Fichten-Erdstammstücken gewonnen werden. Solche Fichten sollten etwa 120jährig und astfrei sein, ihr Holz engringig, zäh und gut spaltbar. Nur das Erdstammstück mit etwa 5 m Länge war verwendbar. Es reichte für 40 bis 50 Schwingel.

Das Flechtwerk bestand beim Holzschwingl und Heuschwinge aus Fichtenwurzeln, beim Wäscheschwingl aus Kiefernspan. Gut geeignet waren Wurzeln von ichten, die entlang von Waldrändern standen und deren Wurzeln in Wiesen hineinwuchsen. Mit einer Stockhaue wurden sie  aufgespürt, frei gelegt und heraus geschnitten. Sie konnten bis zu sechs und  mehr Meter lang werden. Das Wurzelgraben nannte man "Wurzeln". Mittels eines scharfen Messers wurden die Wurzelstränge maximal in 10 Wurzelbänder zu 0,5 mm  Stärke "aufgeschlossen".

Kiefernbänder als Flechtwerk war nur aus besonders geeigneten Bäumen zu gewinnen. Sie sollten ebenfalls mindest 120 Jahre alt sein, feinringig gewachsen und gut Spaltbares, zähes Holz, das "Wiedlholz" haben. Kiefern mit schirmartiger Krone und auf einem kleinen Sandhügel erwachsen schienen besonders geeignet, um der Holzqualität sicher zu sein, entnahm ein Schwingenmacher der noch im Wald stehenden Kiefer einen Probespan von etwa fünf cm Länge in Augenhöhe von der Westseite des Baumes. "Anstechen" oder "Anzimmern" hieß es.  Nach alter Erfahrung soll die Holzqualität an der Ostseite einer Kiefer stets besser sein. So genügte es nur die Westseite zu testen. Bei einem Testgang entnahm man von mehreren Bäumen Proben, nummerierte sie und testete zu Hause die Brauchbarkeit. Dabei sollte sich der Probespan ohne zu reißen oder zu platzen um einen Finger wickeln lassen.
Nur eine entsprechende Kiefer wurde gefällt. Von der wiederum war lediglich ein etwa 120 cm langes Erdstammstück brauchbar, welches für rund 30 Schwingl Flechtwerk erbrachte.

In einem nahen Großprivatwald hatte jede ältere Kiefer eine Probespannarbe.

Wie entsteht ein Schwingl? Gut acht Stunden benötigt ein geübter Schwinglmacher aus dem vor- bereitetem Material ein Schwingl herzustellen.
Mit den daumenstarken entrindeten Fichtenstämmchen wird ein ovaler Bogen geformt und mit Stricken zusammengehalten. Hierauf werden  zunächst die beiden inneren Steckschienen, etwa 4 bis 5 cm breite  Spanhölzer, nach Zuschnitt an den Enden "eingestellt". Die Länge  der Steckschienen muss im rechten Verhältnis zur Schwingelgröße  gehalten werden, um die notwendige Innenrundung zu erhalten. Dafür gibt es eine eigene Erfahrungsmessung. Sitzen die beiden inneren Steckschienen fest, bekommen sie an  ihren Enden einen Einbund aus Flechtbändern, in welchen die anderen  Steckschienen eingepasst werden. Dann beginnt das "Zainen" (von zäunen). Die Steckschienen werden mit dem Flechtband, Wurzelbändern, verbunden, verflochten. Dabei muss in wechselnder Folge, einmal von links dann von rechts, stets von außen gezaint werden, um die Innenwölbung des Schwingls zu erhalten. Zum Schluss werden dem fertigen Schwingl am Außenboden noch zwei  "Schloipfschienen" (von schleifen), 5 cm breite Spane, eingezogen, auf  denen das Schwingl am Boden hin- und hergezogen werden konnte und damit den Schwinglboden schonte. Schloipfschienen waren nicht überall üblich, erhöhten aber die Lebensdauer eines Schwingls beträchtlich. Woher das Holz? Zu Ostern überbrachte ein älterer Schwinglmacher aus Mehlmeisel einem bäuerlichen Waldbesitzer ein Schwingl. Sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe. Der Pfarrherr meinte, als er seinen Holzfrevel beichtete, zur Buße bringst ihm ein Schwingl aus seinem Wald. Das mag es ein Einzelfall gewesen sein. Die "Schwingl-Orte" Mehlmeisel und Nagel sind von großen staatlichen  Waldungen eingeschlossen. Da war es üblich, das Schwingenholz zum "Nulltarif", wie man es nannte, zu holen. Dieser Tarif quälte kein Gewissen, hier bedurfte es keiner Buße.

Schwingelmacher alter Tage nagten am Hungertuch, sie waren arme Leute, Kleinhäusler, Arbeitslose. Die Wintermonate, wenn es sonst keine Arbeit gab, nützten sie, um einige Groschen dazu zuverdienen. Ein Geschickter brachte es auf 100 Schwingl in einer Saison. Es war zu verständlich, dass man sich die Kosten für den Holzankauf ersparen wollte. Von einem brauchbaren "Schwingenbaum" konnte nur der untere Stammteil verwendet werden, der bei Nacht und Nebel mit kleinen Handwagerln oder Schlitten heimgeschafft wurde. Der Rest blieb meist im Wald liegen. So war es dem kontrollierenden Forstbeamten einfach, einen Forstfrevel festzustellen und Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten.

Jeder Schwingelmacher verfügte daheim über ein eigenes besonderes Holzversteck, mit dem er sich vor Hausdurchsuchungen sicher fühlte. Die Kalkgrube beim Pfarrwidura hat ein geschickter Nachbar  als Schwingelholzlager missbraucht. Andere verbargen es  zwischen Dach-schalung und Dachziegel, im Trinkwasserbrunnen oder in wasserführenden Grenzgräben, wo niemand beweisen konnte, welchem Anrainer es gehört.

Oftmals schreckten, besonders in den Wintermonaten, polizeiliche Hausdurchsuchungen. Sah man am Unterlinder Bahnhof einen Polizisten und Förster aus dem Fichtelberger "Bockl" aussteigen, musste man sich gefasst machen. Gar manchem wird der Hl. Paulus, Schutzpatron der Schwingen- und Korbmacher, zur Seite gestanden haben. Paulus verdankt diese Ehre seiner Flucht über die Stadtmauer von Damaskus in einem geflochtenem Korb.

Die Schwingenmacher von heute sind dieser Sorgen behoben. Wer noch Schwingl fabriziert, bedient sich des ausländischen Peddigbandes (Rohrpalme Calamus) als Flechtwerk, das  kunstgerecht bearbeitet in der Korbstadt Lichtenfels am Markt angeboten wird.

Anmerkung:

Alle Informationen über die Schwinglfertigung stammen von Bernhard Prechtl, Schafgasse 22, Mehlmeisel. Die Auskunft über die wissenschaftliche Holzforschung verdanke ich Dr. Grosser vom Institut für Holzforschung in München.

 

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