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Die Kreuzotter im Fichtelgebirge
Von Wolfgang Völkl, Seybothenreuth

Dr. Wolfgang Völkl aus Seybothenreuth beschäftigt sich seit über 20 Jahren intensiv mit der Kreuzotter und untersucht zur Zeit im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes von Naturschutzbehörde, Landesamt für Umweltschutz, Bayerische Staatsforstverwaltung und Fichtelgebirgsverein die Kreuzotterbestände und ihre Lebensräume im Fichtelgebirge. (Martin Hertel, FGV-Hauptnaturschutzreferent)

   "Pass gut auf, dass Du auf keine Kreuzotter trittst!", hieß es noch vor 30 Jahren, wenn die Kinder im Fichtelgebirge im Sommer zur Pilz- oder Beerensuche loszogen. Unsere einzige heimische Giftschlange war noch häufig anzutreffen und gehörte zum Fichtelgebirge wie Rotwild und Auerwild, wie Siebenstern und Arnika. Heute ist die Art nicht nur bei uns sehr selten geworden – und mit ihr die manchmal nicht ganz geheueren Begegnungen. Aber auch das Wissen um ihre Biologie und um die Orte, wo man ihr begegnen kann, ist vor allem bei der jüngeren Generation weitgehend verloren gegangen.

Der Lebensraum der Kreuzotter ließ sich früher sehr einfach von den Pilzsuchern charakterisieren: ".... dort, wo an sonnigen Stellen die Rotkappen im Heidekraut stehen". Rotkappen wachsen unter Birken – und diese wiederum stehen im Fichtelgebirge oft auf zwergstrauchreichen Lichtungen mit armen Böden. Der charakteristische Lebensraum der Kreuzotter im Fichtelgebirge lässt sich gut durch diese Vegetation beschreiben: Die große Mehrzahl der Tiere lebt auf Waldlichtungen und Waldrändern mit Heidel- und Preiselbeere, Besenheide und Gräsern und in den Randbereiche von – oftmals noch genutzten – Waldwiesen, also in Lebensräumen, die durch die menschliche Bewirtschaftung geprägt wurden. Dabei liebt es die Kreuzotter besonders, wenn kleine Fichten, Kiefern oder Birken auf diesen Flächen wachsen, ähnlich wie in ihrem ursprünglichen Lebensraum, dem Randbereich von Mooren oder Blockschutthalden. Waldlebensräume spielen vor allem um Bad Berneck, Bischofsgrün und Warmensteinach, um Meierhof, Vordorf und Weißenstadt sowie rund um die Berggipfel die wichtigste Rolle für die Kreuzotter. Daneben leben noch verhältnismäßig viele Tiere in unseren wenigen verbliebenen Moorgebieten, ihrem ursprünglichen Lebensraum, so in der Häusellohe, im Zeitelmoos, im Fichtelmoor und in der Torfmoorhölle. Im Fichtelberger, Mehlmeiseler und Nageler Raum kann man auch viele Kreuzottern auf feuchten Wiesen und den angrenzenden Bachauen und feuchten Waldrändern beobachten.

Die Biologie der Kreuzotter ist inzwischen aufgrund vieler Forschungsarbeiten aus den letzten 25 Jahren, darunter auch Studien aus dem Fichtelgebirge, sehr gut erforscht. Das Jahr der Kreuzotter beginnt bereits während der Schneeschmelze in der Regel ab Mitte März, in warmen Jahren sogar bereits Ende Februar, wenn die Männchen ihre Winterquartiere verlassen, um ausgiebig in der Sonne zu baden. Etwa drei Wochen später erscheinen auch die Weibchen am Frühjahrssonnplatz, und gemeinsam begeben sie sich Anfang Mai zu ihren Paarungsplätzen, die meist auf sonnigen südexponierten Flächen liegen, die ein besonders günstiges Kleinklima aufweisen. Dort lassen sich auch die Geschlechter leicht unterscheiden. Die Männchen tragen ihr leuchtendes hellgraues "Hochzeitskleid" mit einem tiefschwarzen Rückenband, die Weibchen sind schlicht braun gefärbt mit einem dunkelbraunen Rückenband. Daneben können in beiden Geschlechtern schwarze Exemplare auftreten. An den Paarungsplätzen kann man mit viel Glück auch die Kommentkämpfe beobachten, d.h. ritualisierte Rangordnungskämpfe zwischen Kreuzottermännchen ohne Einsatz der Giftzähne. Diese wurden früher im Volksmund auch als "Schlangentänze" bezeichnet und fälschlicherweise sogar als Paarung oder "Schlangenhochzeit" interpretiert. Im Anschluss an die Paarung verstreuen sich die Männchen und können Sommerreviere besetzen, die bis zu einem Kilometer von den Paarungsplätzen entfernt liegen. Die trächtigen Weibchen verbleiben dagegen während des Sommers in der Nähe des Paarungsplatzes, wo sie sich an geschützten Plätzen ausgiebig sonnen. Während dieser Zeit können sie gut beobachtet werden, da sie nur wenig scheu sind. Zwischen August und Ende September, manchmal sogar erst Anfang Oktober, bringen sie dort 4 – 12 lebende Junge zur Welt, die bei der Geburt etwa 15cm lang und bleistiftdick sind. Während der Trächtigkeit und bei der Geburt verbrauchen die Weibchen sehr viel Energie, da sie über fast drei Monate hinweg keine Nahrung zu sich nehmen. Aus diesem Grund pflanzen sich die weiblichen Tiere nur alle 2 Jahre fort, während die Männchen jährlich zur Paarung kommen. Mitte Oktober nähert sich das Jahr der Kreuzotter seinem Ende. Alle Tiere sind zu diesem Zeitpunkt zu ihrem Winterquartier zurückgekehrt, das in Erdspalten oder in ausgefaulten Baumstümpfen liegt, und beginnen in frostfreier Tiefe mit der Überwinterung.

Die Nahrungsaufnahme beginnt in der Regel erst nach der Paarung etwa ab Mitte Mai. Die erwachsenen Tiere verzehren am liebsten Feldmäuse, Rötelmäuse oder Spitzmäuse, während die Jungtiere kleine Frösche und Eidechsen bevorzugen. Die Beutetiere werden durch Gift getötet und anschließend im Ganzen verschlungen.

Die heimische Giftschlange

Das Gift der Kreuzotter dient vor allem dazu, Beute zu töten und den Verdauungsprozess zu unterstützen. Zur Verteidigung wird es nur eingesetzt, wenn keine Möglichkeit zur Flucht mehr gegeben ist. Das Kreuzottergift ist auch für den Menschen nicht ganz harmlos, obwohl seit über 40 Jahren in Deutschland kein Todesfall mehr zu verzeichnen war und im Ernstfall kein Grund zur Panik besteht. Ein Biss kann sehr schmerzhaft sein; das Gift selbst verursacht vor allem Übelkeit und lokale Blutungen und schwächt den Kreislauf. Im Extremfall kann es auch zu einem Schock kommen. Obwohl für einen gesunden Menschen (dies gilt auch für Kinder) ein äußerst geringes Risiko auf Langzeitschäden besteht, gilt grundsätzlich: Ruhe bewahren und immer einen kompetenten Arzt aufsuchen (am besten nach dem Bergwachtbereitschaftsarzt fragen).

Kreuzotterbisse können aber sehr einfach vermieden werden, wenn einige wenige Verhaltensregeln beachtet werden: Tragen Sie festes Schuhwerk und lange Hosen, falls Sie die Wege verlassen möchten. Stören Sie die Tiere nicht, die Sie am Wegrand oder im Wald beobachten. Die Kreuzotter greift – entgegen so mancher Behauptung - niemals von selbst an, sondern nur bei Bedrohung, z.B. wenn Sie gefangen wird oder wenn Sie mit dem Fuß auf das Tier treten.

Noch vor dreißig Jahren begegnete man der Kreuzotter im Fichtelgebirge und im Frankenwald im Sommer regelmäßig beim Pilz- und Beerensammeln, beim Brennholzsammeln, bei der Heuernte auf Waldwiesen oder an Waldrändern und selbst in waldnahen Gärten, in denen sie nach Mäusen jagte. Wegen ihrer Giftigkeit war das Verhältnis "Mensch und Kreuzotter" in der Vergangenheit immer ambivalent. Auf der einen Seite wurde in den Schulbüchern stets der Nutzen durch das Vertilgen von Mäusen betont. Ebenso wurde dort häufig darauf hingewiesen, dass die Kreuzotter den Menschen immer flieht und nicht angreift. So steht in einem Lesebuch für die 4. und 5. Klasse Volksschule des Bezirks Oberfranken von 1920: "Kommst du der Otter nahe, so fürchtet sie, du möchtest ihr ein Leid tun. Sie wird dich nicht verfolgen, denn du bist keine Maus und kein Vogel; aber wenn du sie berührst, so wird sie dich bestimmt beißen" (p. 67). Auf der anderen Seite wurde die Kreuzotter noch bis nach dem zweiten Weltkrieg erbarmungslos verfolgt. Nahezu überall in Deutschland wurde von staatlicher oder kommunaler Seite "Kopfgeld" für erschlagene Tiere bezahlt, das oftmals sehr hoch sein konnte (nach dem ersten Weltkrieg bis zu 2 Reichsmark pro Tier, nach dem zweiten Weltkrieg in Westdeutschland 1 - 2 DM). Der einzige Grund für diese widersinnigen Prämien war die (unbegründete) Furcht vor einem giftigen Tier. Die Erinnerung an diese Prämien ist sicherlich auch der Grund, warum Kreuzottern auch heute noch oft im "guten" Glauben erschlagen werden, man würde dabei etwas Gutes tun und sich und die Mitmenschen vor einem "gefährlichen Tier" schützen.

Die Kreuzotter im Volksglauben

Der Widerstreit zwischen Faszination und Furcht zeigt sich auch im Volksglauben. So existieren viele schlichtweg falsche Annahmen über ein angeblich aggressives Verhalten und den Glauben, die Kreuzotter würde Menschen verfolgen. Beispielsweise sollte man vor ihr nur im Zickzacklauf fliehen, da sie nicht wendig genug wäre, um zu folgen. Auch von einer Flucht bergab wird abgeraten, da die Tiere dem Flüchtenden dann in das Genick springen könnten. Die Mär, dass Kreuzottern springen könnten, hält sich bis in die heutigen Tage. Noch vor 15 Jahren gab es im Fichtelgebirge ansonsten ernst zu nehmende Einheimische, die felsenfest behaupteten, sie hätten eine Otter "bis eineinhalb Meter hoch" springen sehen. Auch galten schwarze Exemplare, die "Höllenottern", als besonders aggressiv und giftig. Nun gibt es keinen einzigen Nachweis, dass eine Kreuzotter tatsächlich einen Menschen verfolgt hätte. Springen können die Tiere ebenfalls nicht, sondern nur den Oberkörper auf maximal 30 cm aufrichten, und schwarze Exemplare sind nicht giftiger und aggressiver als normal gefärbte. Allerdings klettern manche Ottern an heißen Tagen auf kleine Fichten, um den hohen Temperaturen am Boden zu entgehen. Dort lassen sie sich bereits bei geringen Störungen fallen, so dass hier der Kern der Geschichte über die "springende Kreuzotter" stecken könnte.

Es gibt aber durchaus auch positive Bezugspunkte zur Kreuzotter. Im Fichtelberger Raum spielt die Mär von der goldgekrönten Schlangenkönigin. Findet man im Sommer das "Krönchen" der Schlangenkönigin, verheißt dies "großen Reichtum". Allerdings muss man sofort versuchen, einen Bachlauf zu überqueren, nachdem man das Krönchen zu sich genommen (= gestohlen) hat, denn die Schlangenkönigin ruft mit einem scharfen Pfiff sofort alle Kreuzottern der Umgebung zusammen, die den Dieb verfolgen. Erst mit der Überquerung eines Gewässers kann man diese abschütteln. Die "Schlangenkrone" dürfte ihren Ursprung in der flüchtigen Beobachtung der Häutung haben, bei der die alte Haut für kurze Zeit über dem Schädel hoch steht und den Eindruck einer Krone vermitteln kann. Auch der in Süddeutschland weit verbreitete Glaube, dass die Hausschlange unter dem Türstock über das häusliche Glück wacht (weshalb man auf der Türschwelle kein Holz spalten soll, da ansonsten der Kopf der Hausschlange gespalten wird, was Unglück bringt), wird mancherorts mit der Kreuzotter in Verbindung gebracht. Allerdings dürfte bei diesem Brauch eher die Ringelnatter gemeint sein, da er auch in Gegenden bekannt ist, in denen die Kreuzotter nie vorkam. Nach einem weiteren Volksglauben soll eine im Tontopf unter der Stalltür vergrabene Kreuzotter besten Schutz gegen Viehseuchen bieten.

Der Rückgang der Kreuzotter im Fichtelgebirge

Letztendlich sind jedoch weder Aberglauben noch eine falsche Einschätzung ihrer Gefährlichkeit und die damit verbundene starke Verfolgung der Kreuzotter für ihren starken Rückgang hauptverantwortlich, sondern der Verlust ihrer Lebensräume in Verbindung mit ungünstigen Klimabedingungen während der letzten 15 Jahre. Viele ehemalige Vorkommen im Fichtelgebirge sind inzwischen erloschen, und der Fund einer Kreuzotter wurde inzwischen zur Besonderheit. Insbesondere die extremen ungünstigen Witterungsbedingungen im Herbst/Winter 2002 und Frühjahr 2003 mit anhaltendem nasskaltem Regenwetter von Anfang September bis Anfang Januar und anschließendem "Kahlfrost" ohne dichte Schneedecke sorgten für eine hohe Sterblichkeit. Im folgenden Frühjahr mit sehr warmen Tagen bereits ab Mitte Februar und kalten frostigen Nächten bis April verhungerten wahrscheinlich viele Tiere, da sie im vorangegangenen Herbst keine Fettreserven anlegen konnten. Dementsprechend gibt es Hinweise, dass die Bestände nicht nur im Fichtelgebirge, sondern in nahezu ganz Deutschland binnen Jahresfrist drastisch abnahmen.

Die starke Abnahme der Bestände führte dazu, dass die Kreuzotter inzwischen als stark gefährdet auf der Roten Liste der in Deutschland vom Aussterben bedrohten Tiere geführt wird. Weiterhin zählt sie nach dem Bundesnaturschutzgesetz und der Bundesartenschutzverordnung wie alle heimischen Schlangen und Eidechsen zu den geschützten Tieren, die weder verfolgt noch getötet werden dürfen.

Um den Rückgang der Kreuzotter zu stoppen und diese interessante und – trotz ihrer Giftigkeit – im Volksglauben verhaftete Tierart auf Dauer im Fichtelgebirge zu schützen, hat das Landesamt für Umweltschutz ein Artenhilfsprogramm für die Kreuzotter initiiert, in dem in Zusammenarbeit mit den Forstbehörden Maßnahmenvorschläge für den langfristigen Erhalt erarbeitet werden sollen. Die Grundlage für ein solches Programm bietet neben dem genauen Wissen über die Lebensweise natürlich auch die Kenntnis der derzeit aktuellen Verbreitung. Gerade in letzterem Punkt wäre es sehr hilfreich, wenn alle Kreuzotter im Frühling/Sommer 2003, aber auch in den vergangenen Jahren, zentral gemeldet würden, um das Bild der Grundlagenerfassung abzurunden. Ein Meldebogen für Kreuzotterbeobachtungen mit Kontaktadressen liegt dem "Siebenstern"-Heft 5/2003 bei.

Literatur: Wer sich eingehend über die Kreuzotter informieren möchte, findet ausführliche Zusammenfassungen über ihre Biologie und ihren Schutz in den folgenden beiden Arbeiten:

Wolfgang Völkl & Burkhardt Thiesmeier (2002): Die Kreuzotter. – Beiheft 5 der Zeitschrift für Feldherpetologie. Laurenti-Verlag Bielefeld. ISBN 3-933066-11-5. 159 Seiten, Preis  20,-- €
Hans Schiemenz (1995): Die Kreuzotter. – Neue Brehm Bücherei 332. 3. Auflage. Verlag Westarp-Wissenschaften, Magdeburg. ISBN 3-894321-51-2. 108 Seiten. Preis ?.

Diesen Aufsatz finden Sie auch in Der Siebenstern, Heft 5/2003, S. 254 – 259

 

Abbildung 1:
Lichte Waldflächen mit Heidelbeeren, Jungfichten und Felsen, wie hier am Nußhardt, sind im Fichtelgebirge ein wichtiger Kreuzotterlebensraum.

Abbildung 4:
Ein Kommentkampf zwischen zwei Kreuzottermännchen. Die Tiere setzen dabei ihre Giftzähne nicht ein, sondern versuchen den Rivalen auf den Rücken zu drücken.

Abbildung 6::
        Männchen im Mai im Hochzeitskleid

Abbildung 2:
Die braune Grundfarbe und das Zickzackband stellen eine hervorragende Tarnung dar und lassen – wie an diesem Frühjahrssonnplatz - die Konturen der Kreuzotter in der Vegetation verschwimmen.

Abbildung 3:
Ein Kreuzotterpaar im Mai. Die Männchen sind leuchtend grau gefärbt, die Weibchen haben eine unscheinbare braune Grundfarbe.

Abbildung 5::
Portrait eines Weibchens

Abbildung 7:.
Schwarzes Tier

 

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