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Heimkehr auf leisen Pfoten

von Siegfried Hösch

Immer wieder wird man mit Meldungen konfrontiert, die auf einen rasanten Artenschwund in unserer industrialisierten und zivilisierten Welt hinweisen. Diese Meldungen gibt es sicher zu Recht. Es gibt aber auch eine Entwicklung, welche in die entgegengesetzte Richtungweist. Arten, die nur noch in den relativ dünn besiedelten Gegenden Osteuropas bis in unsere Tage überlebt haben, sind dabei, in Mitteleuropa wieder Heimatrecht einzufordern. Beispiele dafür sind der Schwarzstorch und der Kolkrabe, der Elch, aber auch der Luchs. Vor jeglicher Wiedereinbürgerung hat  die Tierart Luchs aus eigener Kraft die Wälder Ostbayerns erreicht. So sind Einzelnachweise aus dem Bayerischen Wald Mitte der fünfziger Jahre und Ende der sechziger Jahre erfolgt.

Für das Fichtelgebirge liegt die erste dem Luchskreis Nordbayern bekannte Beobachtung, nach der Ausrottung der Art im 19. Jahrhundert, im Jahr 1948 für den Schneeberg vor. Ein Forstbediensteter überraschte einen Luchs, der sich auf einer frisch angepflanzten Kahlschlagsfläche auf einem verbliebenen Fichtenstumpf sonnte. Heinz Spath, Marktleuthen, als Naturfotograf bekannt,  konnte am Ostersonntag des Jahres 1962 einen Luchs beobachten, der am Südwestfuß des Großen Kornbergs die Bahnstrecke Schwarzenbach/S. - Marktleuthen überquerte. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wiederholten sich Luchsbeobachtungen und -nachweise und wurden etwas häufiger. Die in den Nachkriegsjahren, bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts im östlichen Bayern festgestellten Luchse waren für die Begründung des heutigen Bestandes wohl von zu geringer Zahl. Auch von der nicht genehmigten Aussetzung von sieben Luchsen im Bayerischen Wald Ende der siebziger Jahre dürften nicht viele überlebt haben, da die Aktion weder mit Förstern noch mit Jägern abgesprochen war. Anders verhielt es sich bei der Ausbürgerungsaktion von 17 oder 18 Luchsen im tschechischen Nationalpark Sumava Anfang der achtziger Jahre. Diese Aktion war gut vorbereitet und hat sicher dem heutigen Luchsbestand auf die Beine geholfen. Die Wälder beiderseits der deutsch-tschechischen Grenze geben, bei genügender Akzeptanz durch die Bevölkerung, einen ausreichenden Lebensraum für den Luchs. Zudem kann man davon ausgehen, dass die Luchse des Fichtelgebirgsraumes, natürlich ganz Ostbayerns und des angrenzenden Böhmens  über das Erzgebirge und die Sudeten Kontakt zu den  Luchsen in den Karpaten haben. Auch südlich des böhmischen Beckens ist der Austausch zwischen unseren Luchsen und  den Karpatenluchsen möglich. Die Gefahr einer Verinselung ist also für die derzeit geschätzten 40 erwachsenen Luchse (in den neunziger Jahren waren es schon einmal 70) nicht gegeben, welche in den Grenzgebieten Ostbayerns /Tschechiens und des österreichischen Mühlviertels leben, solange ein Gen-Austausch  mit den etwa 600 Luchsen in der Slowakei für die Zukunft gesichert werden kann. Entscheidend für den Erhalt dieses Gen-Austausches wird sein, dass die Zerschneidung der großen zusammenhängenden Waldgebiete der deutsch/tschechischen/österreichischen Grenzgebirge um das böhmische Becken, verursacht durch Autobahnen, gemildert wird, etwa durch Wildbrücken oder -durchlässe. Im Jahr 1996 wurde der Luchskreis Nordbayern gegründet, mit dem Ziel, Interessierte über den Luchs zu informieren, aber auch um Daten über den Luchs zu sammeln und eventuell Rückschlüsse auf die Zahl der Großkatzen in unserer Heimat zu schließen.
Im Jahr 2001 haben der Dipl.-Biologe Hans Christian Müller und ich alle vorliegenden Meldungen ausgewertet, welche aus einem Gebiet stammen, das im Osten bis etwa Klingenthal im Vogtland reicht, das Fichtelgebirge, den Steinwald sowie das Tirschenreuther Gebiet bis etwa Flossenbürg umfasst, auf der tschechischen Seite den Ascher Zipfel und den Kaiserwald mit einschließt und zunehmend in den Frankenwald ausgedehnt wird. Nach zeitlicher und räumlicher Abgleichung der Daten kamen wir auf einen Bestand von 7 - 8 adulten Luchsen im genannten Gebiet. Besonders erfreulich ist, dass in der aufgezeigten Region seit 1995 wiederholt Jungluchse nachweisbar waren. Will man ermitteln, wie viele Luchse im Fichtelgebirge leben könnten, sind zu den Waldflächen dieses Mittelgebirges noch jene hinzuzurechnen, die Luchsen in dessen unmittelbarer Nachbarschaft Heimat geben und deren Reviergrenzen das Fichtelgebirge noch berühren. Man kommt dabei auf das Gebiet, das einerseits von Klingenthal und andererseits von Flossenbürg begrenzt wird. Bei der Addition der zusammenhängenden Waldflächen dieses Raumes ergeben sich ca. 1.400 km2, die nach dem Schlüssel von Fachleuten etwa 14 bis 20 Luchsen Lebensraum bieten könnten. Mit Sendern ausgestattete Luchse in der Schweiz und im Bayerischen Wald/Böhmerwald zeigten auf, dass Kuder, also die männlichen Luchse, ein Revier beanspruchen, das bis 400 km2, in Ausnahmefällen sogar noch mehr, umfassen kann. Weibchen kommen mit ca. 100 km2 aus. Jedoch überlagern Kuderreviere die Reviere der Weibchen. Ein Kuder kann also die Territorien, auch mehrer Weibchen, in seines, ganz oder teilweise, einschließen. Wildbiologen, die sich mit Luchsen befassen, vertreten die Meinung, dass die obere Luchsdichte in zusammenhängenden Waldgebieten mit einem Exemplar pro 100 km2 angenommen werden kann. Man geht derzeit auch davon aus, dass Luchsen in ihrem Revier ein Waldanteil von ca. 60 % genügt, wenn angrenzende Flächen auch etwas Deckung bieten und Rehe dort ihren Einstand haben. Schließlich ist das Reh die Hauptbeute des Luchses.

Seit 1995 gibt es Hinweise auf Jungluchse im betrachteten Gebiet. In jenem Jahr wurde östlich von Wernitzgrün im Elstergebirge ein junger Luchs beobachtet, der sich außerhalb des Waldes in einem Haferfeld aufhielt. Auf Rufe, die wahrscheinlich der Luchsin zuzuordnen waren, reagierte das Tier, indem es in diese Richtung im Wald verschwand. Am 26.12.1995 wurden am Großen Teichelberg von einem Forstmann nach starkem Schneefall zwei ganz frische, unterschiedlich große Luchsspuren gefährdet. Diese Spuren wurden leider nicht vermessen. Vom Zeitpunkt her ist eher davon auszugehen, dass es sich um die Spuren von Mutter und Kind als von Luchs undLuchsin handelte. 1996 wurden im nördlichen Steinwald von einem Forstmann vom Hochsitz aus zwei Luchse beobachtet, von der Größe her deutlich unterscheidbar, die einen lang gestreckten gut einzusehenden  Forstweg daherkamen, wobei sie teilweise spielten. Im gleichen Jahr stieß man  im Rehauer Forst auf eine Fährte, die im August gefunden, durch die Schlammkrawatte eines Teichen verlief, dessen Wasserstand zurückgegangen war. Die Abdrücke hatten etwa die Größe einer Fuchsspur, waren jedoch kreisrund und ohne Krallenabdrücke. Ein Gipsabdruck wurde angefertigt. In diesem fand man auf der Unterseite zwei Haare eingebacken, welche bei einer mikroskopischen Untersuchung durch  den bayerischen Luchsexperten Manfred Wölfl ergaben, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit von einem Katzentier stammten. 1998 sah man im westlichen Steinwald, in der Nähe von Pullenreuth, einen einzelnen Jungluchs. Ebenfalls 1998 hielt sich im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet bei Treppenstein, südöstlich von Mähring, eine Luchsin mit zwei Jungtieren auf. Im Juli 1999 wurde im zentralen Fichtelgebirge, östlich von Weißenstadt, eine Luchsin mit drei Jungtieren, am 11. September desselben Jahres in der Nähe des Neudorfer Felsens  ein einzelner Jungluchs beobachtet. Rund 16 km Luftlinie entfernt, im Gebiet südwestlich Waldershof, im Bereich Buchlohe, wurde am 17. August 1999 ebenfalls ein einzelner, immer wieder in einer bodennahen Astgabel ein spielender Jungluchs beobachtet. 1999 gab es auch im Kaiserwald östlich von Eger zwei Jungluchse, die mehrmals beobachtet wurden. Im gleichen Jahr wurde von einem Biologen von zwei Jungluchsen im Raum Friedenfels berichtet. Am 17.06.2001 ging ein e Familie gegen 20.00 / 20.30 Uhr südlich von Groschlattengrün in Richtung des Teichelberges spazieren. In Waldnähe kamen auf eine Entfernung von 50-60 m zwei Luchse aus einem Graben und überquerten jeweils mit einem großen Satz den Weg. Die Hinterbeine griffen dabei weit nach vorne. Eines der Tiere kam über den Weg zurück. Nach der Beschreibung waren die beiden unterschiedlich groß. Von der Jahreszeit her könnte es sich um Geschwister oder um Mutter und Kind gehandelt haben. Ende Juli / Anfang August 2001 tauchte östlich von Thierstein einem Jäger in der Abenddämmerung beim Ansitz ein Jungluchs unter der Kanzel auf und sah zu ihm empor. Vom 18. auf den 19. August 2001 wurden am Ortsrand von Kirchenlamitz in Richtung Epprechtstein gegen Mitternacht von einem Biologen Rufe vernommen, die dieser als Lockrufe einer Luchsin interpretierte. Die Rufe endeten mit einem Fauchen, welches der Biologe auf Band aufnehmen konnte. Evtl. auch hier ein Hinweis auf Jungluchse!? Von Ende November / Anfang Dezember 2003 gibt es eine Beobachtung aus der Umgebung von Friedenfels (Bärenhöhe), wo von einem kleineren Luchs berichtet wird. Auch der zum Größenvergleich angeführte Hund würde auf einen jungen Luchs deuten. Der letzte mir vorliegende Hinweis auf einen Jungluchs ist allein schon wegen seines geografischen Beobachtungsortes höchst interessant. Von einem Jäger wurde im Frühwinter 2003 in der Nähe von Ludwigstadt am Übergang vom Frankenwald zum Thüringer Wald beim Ansitz auf einem verschneiten Waldweg ein junger Luchs wahrgenommen, als er spielend des Weges kam. Beim Betrachten durch das Fernglas wurde im Schlagschatten des angrenzenden Fichtenbestandes ein sitzender adulter Luchs ausgemacht. Es mehren sich damit die Anzeichen, dass der Luchs den Frankenwald erreicht hat und auf dem Weg zum Thüringer Wald ist. Abschließend noch ein Blick auf das Fichtelgebirge. Zentraler Punkt all dieser Mittelgebirge ist das Fichtelgebirge. Es verbindet  die von Süden kommenden Waldstränge des Bayerischen – und Böhmerwaldes sowie des Oberpfälzer Waldes mit den von Osten  kommenden Bergzügen und Wäldern der Sudeten, des Riesengebirges und des Erzgebirges. Genauso stellt es den Übergang zum Frankenwald und in dessen Fortsetzung zum Thüringer Wald her. Es ist wichtig, dass wir uns der  Bedeutung  des Fichtelgebirges in seiner Brückenfunktion bewusst werden und dies bei unseren Planungen berücksichtigen. Wir tragen hier Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe. Ich hoffe, dass Sie sich freuen können über die Bereicherung unserer Natur, die durch die Heimkehr des Luchses eingetreten ist. Wünschen wir ihm eine gute Zukunft im Fichtelgebirge und im ganzen ostbayerischen Raum sowie in den benachbarten Gebieten. Falls Sie bei Wanderungen im Winterwald luchsverdächtige Spuren entdecken oder Ihnen gar einmal eine Sichtbeobachtung gelingt, benachrichtigen Sie bitte Herrn Martin Hertel, Ihren Naturschutz referenten (Tel.-Nr.: 09232/2936) oder mich (Tel.-Nr.: 09283/3254).
In einer späteren Ausgabe des Siebenstern erfolgt eine Vorstellung des Luchses mit Hinweisen auf Spurbilder, etc..
Siegfried Hösch

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