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Marktredwitz im Dreißigjährigen Krieg – Die Leopold’sche Hauschronik
von Manfred Schultes

Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) führte zu einem fast vierzigprozentigem Bevölkerungsverlust, zu territorialen Einbußen und ökonomischen Rückschlägen für das Deutsche Reich, dessen Territorien die Hauptkriegsschauplätze waren. Die Unterdrückung der Protestanten in Böhmen führte – ausgelöst am 23.5.1618 durch den „Prager Fenstersturz“ – zu einem Reichskrieg um die kaiserliche Macht, der später durch die Einmischung außerdeutscher Mächte zum europäischen Krieg wurde. Insbesondere die Feldherren Wallenstein und Tilly führten ihn als Weltanschauungskampf mit fanatischer Grausamkeit. Dem Deutschen Kaiser (Ferdinand II) mit der Liga der katholischen Reichsfürsten unter Führung von Maximilian I von Bayern stand bis 1621 die Union der protestantischen Fürsten unter Führung von Kurfürst Friedrich IV von der Pfalz gegenüber. Spätere Gegner waren ab 1625 Dänemark (Christian IV), ab 1630 Schweden (Gustav Adolf) und ab 1635 das katholische Frankreich (Richelieu). Machtpolitisch kämpften die europäischen Mächte unter der Führung Frankreichs und Schwedens gegen die Vorherrschaft des Hauses Habsburg in Europa. Der „Westfälische Frieden“, geschlossen am 24.10.1648 in Münster, beendete den Krieg; er bestätigte im wesentlichen den „Augsburger Religionsfrieden“ von 1555 und damit die konfessionelle Spaltung Deutschlands.

Bis zum Jahr 1627 gab es in Redwitz zwischen den Protestanten und Katholiken wenig Konflikte, man benutzte sogar die Bartholomäuskirche als gemeinsames Gotteshaus. Nach der 1626 in Eger durchgeführten Gegenreformation wurden die evangelischen Priester aus Redwitz verjagt. Der katholische Pfarrer gestattete jedoch den Protestanten weiterhin die Benutzung der Kirche für Gottesdienste, Taufen und Trauungen; allerdings waren Predigten verboten. Doch bald untersagte man auch dies und zwischen 1628 bis 1649 durfte in Redwitz weder evangelischer Unterricht noch Gottesdienst gehalten werden. Die Protestanten besuchten die Gotteshäuser in Brand oder in Oberredwitz. Nachdem sich die Redwitzer 1649 unter den Schutz der Bayreuther Markgrafen begeben hatten, fand zu Ostern wieder ein protestantischer Gottesdienst statt. Hiergegen erhoben sowohl der Kaiser als auch der Regensburger Bischof Einspruch. Die Streitsache kam 1653/54 vor den Regensburger Reichstag. Dort entschied man, dass alles so bleiben solle, wie es war. Von nun an konnten die Protestanten ihren Glauben in Redwitz wieder ungehindert ausüben.

Ungleich größer waren die Drangsale, die Redwitz und seine Bevölkerung während des Krieges durch Raub, Mord und Brandstiftung zu erdulden hatten. Die schlimmsten Kriegsjahre waren hier 1632 bis 1637 und 1644 bis 1647. Fast alle auf deutschem Boden kämpfenden Truppen suchten Redwitz heim, so die Bayern, Böhmen, Polen, Kroaten und Franzosen. Besonders grausam hausten die Schweden. Marktredwitz hat den Vorzug, dass der Zeitzeuge Georg Leopold die Vorgänge der Kriegs- und Nachkriegszeit schriftlich festhielt. Es handelt sich um die „Redwitzische Haus-Chronik über Verlauf und Beschreibung, was von 1627 an zu Redwitz, Eger und den benachbarten Orten und Landen sich bis auff das Jahr 1675 begeben, und zusammen getragen von Weyland Herrn Georg Leopold, gewesenen Richter und Bürgermeister des Marktes Redwitz“.

Georg Leopold wurde am 6.2.1603 in Redwitz geboren und starb dort im hohen Alter von 73 Jahren am 11.8.1676. Er war Spross der berühmten Redwitzer Pfarrersfamilie Leopold, ab 1627 sechs Jahre Marktrichter und von 1644 - 1676 über 30 Jahre Bürgermeister von Redwitz. Er war 48 Jahre mit seiner Frau Barbara, geb. Dietl verheiratet; aus der Ehe gingen 12 Kinder hervor.

Nun soll Leopold mit einigen Passagen aus seiner Hauschronik selbst zu Wort kommen. 1629 wird die Kirche geschlossen: „Interim wurde das ius patronati hier strittig. (...) Blieb also die Pfarr unbestellet und die Kirch verschlossen. Dahero wir supplizierten an die Herren Kai Kommiss, daß sie uns doch bei solchen Zustand lassen wollten, daß wir die Fest- und Sonntag die Kirch möchten öffnen und unsern evangelischen Schulmeister, H Heinricus Fabricij, den wir dieser Zeit noch hatten, singen und lesen lassen; welches sie dann auch bewilligten. Kopulieren und Kindertaufen wurde uns frei gelassen, wo wir wollten. Wie nun unsere Kirch solcher Gestalt, durch den Schulmeister bestellet wurde, waren die Stiftischen zu Waldsachsen damit übel zufrieden, beklagten sich allenthalben sehr wider uns. Und als einsmal unser Schulmeister, welcher zugleich Gerichtsschreiber mit war, neben anderen Herren in Verrichtung nach Eger (...) geschicket wurde, ist er von ihnen – dieweiln er sich unterstanden, in der Kirchen ohne das Stiftskonsens öffentlich zu lesen – gefänglich angenommen worden. Und (...) ist er (...) auch ganz bald los gelassen worden; doch mit diesem Beding, daß er sich hinfort die Kirchen zu öffnen enthalten, noch viel weniger lesen und singen sollte.

Dahero wir einen erbarmlichen Zustand hatten. Die Kirch wurde nit aufgesperrt. Kein Glock hörte man läuten. Waren also wie zerstreuete Schaf ohn Hirten. Jedoch wurde zu Brand auf Befehl des Herrn Markgrafen fürstl. Gnaden gepredigt.“Leopold beschreibt die ab 1632 an der Bevölkerung verübten Gräueltaten: „Zu dieser Zeit ging Jammer und Not an in unserem Lande und hat gewähret bis auf das 1637. Jahr: do man dann bald nichts anderes hörte als Rauben, Stehlen, Morden, Sengen und Brennen. Die armen Leut wurden niedergehauen, gestochen, geschossen, auch gereitelt. Vielen die Augen ausgestochen Arm und Bein entzweigeschlagen. Ohren und Nasen, auch männliche Glieder und säugende Brüste wurden ab- und ausgeschnitten. Etliche von ferne beim Feuer gebraten, teils im Rauchschlot aufgehenkt und Feuer unter sie geschüret. Etliche in die Backöfen gestoßen, Stroh vorgemacht und angezündet. Die Daumen geschraubet, spitzige Knebel ins Maul gestecket, daß das Blut haufenweis herausgeloffen. Hernacher der ganze Leib durch den Mund mit Urin und Mistwasser gefüllet. Die Fußssohlen aufgeschnitten, hernach Salz hineingestreuet. Riemen aus den Leibern geschnitten und vielen die Rippen in dem Leib entzwei geschlagen. In Summa, die große Pein und vorhin unerhörter Marter – davon auch der Teufel in der Höll Mitwissenschaft haben mochte – so sie den Menschen in vielen Wegen angetan, bis sie gestorben oder verschmachtet oder preßhaft worden, ist nicht zu beschreiben. Da hat manches fromme Herz in solcher Marter und Pein bekennen, Hab und Gut, Weib und Kind, auch wohl seines Herren oder Nächsten Sachen, die lange Zeit verwahret gewesen, verraten müssen. Da wurde weder alt noch jung, edel und unedel, auch der Schwangern und Sechswöchnerin mit Schänden nit verschonet. Und welches ja ein Greuel anzuhören: achtjährige Mägdlein sowohl, auch 60 bis 80jährige Weibspersonen zu Tode gemartert, hernach ausgezogen, in die Teich geworfen oder auf der Straße liegen lassen. Zuletzt durft sich auch kein Mensch mehr in Wäldern betreten lassen, denn da war auch niemand mehr sicher, gleich im Morast oder in gebirgigen Steinklüften war, denn da hatten sie Hund, welche auf die Menschen abgerichtet daß also kein Mensch in Steinklüften bleiben konnte.“

Im April 1633 suchen schwedische und kaiserliche Truppen Redwitz heim: „Als nun die Schwedischen in etwas von uns gewichen und wir aufs Neue bei He Ober Adelshöffer umb Schutz und Salva Guardi angehalten, da fanden wir keine Gnad mehr bei ihm. Er schalt uns Hund, Verräter und Rebellen. Wir wären alle des Henkens wert. Er wollte heraus, und den Markt an vier Orten anzünden und die Mauern in Grund niederreißen und schleifen lassen. Wir hätten es bishero mit den Feinden gehalten. Da möchten wir wohl Schutz suchen. Von ihm hätten und sollten wir nichts Besseres zu hoffen haben. Obwohl er inständig gebeten ihm auch unsere Unschuld dargetan wurde, wollte doch von ihm diesmal keine andere Resolution fallen als diese: Wir wären Verräter, hätten mit dem Feind korrespondiert den Pfaffen verraten. Wir sollten uns packen und trollen. Und was uns daraus würde entstehen, es wäre gut oder bös, das sollten wir erwarten, etc.“

Im Juni 1635 flieht Leopold vor den kaiserlichen Truppen nach Wunsiedel: „Nun hatte man zu solchen Zeiten gemeiniglich Rathaus und Kirchen eröffnet, damit die Leute darinnen zusammenlaufen konnten. Wie ich mich denn damals auch in dem Fieber todkrank in der Kirchen befunden, da fielen diese alsbald auch in die Kirchen hinein, zerschmüssen den Gotteskasten, nahmen die Pfennig heraus zerschlugen Altar und Predigstuhl, meineten, Geld darinnen zu finden. Sie gruben auch unter die Beichtstein, hin und wieder auch unter die Stühle, huben viel Stein und Ziegel auf erwischten auch die Kelch, welche verstecket gewesen. Wie sie dieses alles zusammengerichtet und fleißig durchsuchet, da machten sie sich an uns zogen einen nach dem andern aus, was er anhatte. Wie dieses geschehen, führeten sie einen nach dem anderen hinaus, damit man ihnen in den Häusern auch weisen sollte. Da wurden die Leut alle voneinander zerstreuet. Ich selbsten als ein Kranker, der auch nichts mehr anhatte als Hemd und Hosen, kam aus der Kirchen und über die Mauern hinaus, machte mich durch das Getreid und die Thöla Gasse hinunter auf Wunsiedel zu, hatte weder Schuhe an den Füßen, noch einen Hut auf dem Haupt, sondern ein kleines Kißlein. Damit bedeckte ich mein Haupt vor dem heißen Sonnenstrahl. Wann mir gleich Reiter begegneten, achteten sie meiner nit groß, denn sie sahen wohl, daß ich schon auf der Mess gewesen und daneben auch krank war. Und so krank als ich gewesen, daß ich des Morgens mit großer Mühe aus dem Bette und in die Kleider gebracht worden, ebenso hübsch und geschwind hab ich Nachmittag wieder gehen gelernt. Und es ist ganz gewiß, daß ich diesem Einfall und Schrecken von meiner Krankheit kommen und gar gesund worden.“

Im Mai 1637 fordert der Priester die Redwitzer auf, katholisch zu werden: „Den heiligen dritten Pfingstfeiertag ist unser Pfarrherr in der Kirchen sehr zornig auf uns gewesen, indem er sich vor den Altar gestellt und geschrien, daß er nit mehr Lust zu predigen hätte, dieweil fast niemand in die Kirchen, sondern nach Brand tät laufen. Katholisch müßten wir werden oder er wolle selbsten zum Kaiser.“

Im August 1642 gerät Leopold in Eger in Gefangenschaft: „Weil wir dadurch wider die Römische Kayserliche Majestät so hoch peccieret, also sollten wir drei uns auf Befehl eines edlen, festen, hochweisen Rats auf dem Haubitzer Turm in Arrest verfügen und doselbst bis auf weitere Inquisition verbleiben.

Obwohl wir uns domals hiergegen entschuldigen wollten, so wollte doch kein expostulieren nit helfen, sondern wir mußten, dem Abschied nach, auf den Turm marschieren, was wir ebenso gern getan wie ein Bauer, der in den Turm steigt. War dies unsere größere Angst, daß wir den Turm nit kannten auch den Weg dahin nit wußten. Wir schämten uns auch ehrenthalben, nach dem Weg zu fragen; aber ein Stadtknecht gab uns bald gute Andeutung, damit wir nit irre.

Als wir uns nun auf dem Turm gefunden, haben wir etliche Tag hintereinander an H Kommandanten Melchor Adam Mosern, an einen edlen, festen Rat, besonders an die alten Herren supplizieret, umb Verzeihung und umb Dimission gebeten. Hat aber alles wenig fruchten wollen.“

Am 23.4.1644 hat Leopold eine Auseinandersetzung mit kroatischen Soldaten: „Als wir abends wieder auf dem Weg nach Haus, kamen uns 3 Kroaten zu Fuß, die alle sehr bezecht waren, entgegen. Sie fielen mich an, hatten Korbiner und Streithämmer, schlugen die Hähne über und wollten nur, mich zu erschießen. Ich war zu Roß, gab ihnen gute Wort riß mich von ihnen. Meine Gefährten aber, die auch zu Fuß und ziemlich weit hinter mir waren, wollten sie auch anfallen. Weil sie aber Weibervolk ansichtig wurden, ließen sie von ihnen. Unterdessen entliefen ihnen die Weiber aber auch.“

An das erste Friedensjahr 1649 knüpft der Chronist folgende Hoffnungen: „Nun folgt das 1649ste Jahr, welches wohl bei all unseren Nachkommenden für das allerglücklichste Jahr gehalten werden wird, denn in diesem Jahr hat uns Gott, der Allmächtige, unsere Kirchen wiederum geöffnet, unser Leid in Freude verwandelt und uns hierdurch einen solch unbegreiflichen Schatz geschenkt, daß dadurch alle vorher durch den Krieg erlittenen Schäden wohl zu vergessen sind!
Dafür seiner göttlichen Allmacht ewig Lob, Ehr, Preis und Dank!“

Heute erinnert an Bürgermeister Leopold in Marktredwitz neben einem Straßennamen die Grabplatte aus Wunsiedler Marmor an der Außenwand der Bartholomäuskirche. Diese trägt neben einer Inschrift die Wappen der Familien Leopold (zwei aufrechte, auswärts gewendete Löwen) und Dietl (ein Schwan). Außerdem haben sich zwei Steintafeln erhalten, die angesichts der Schrecken des Krieges um Frieden bitten und auch heute – angesichts der militärischen Auseinandersetzungen und des Terrors in der Welt – nichts an Aktualität verloren haben.

Leopold beschreibt die 1641 geschaffene Tafel so: „Dann auch den 4. August – auf mein Angeben – ein Stein in dem Rondell in Melchior Meyers Garten auf dem Unteren Graben eingesetzt und aufgerichtet worden. Ist er aber verändert und über das Untere Tor gesetzt worden. Ich habe auch den Reim gemacht:
‚Ach wendt von unß die Krieges noth / und gieb den Fried o fromer Gott’ “.

1642 gestaltet er das berühmte Friedensgebet: „In diesem vergangenen Jahr ist auf das Badtor eine Wohnung gebaut worden, damit sich die Wacht darauf erhalten kann, was vorhero nit gewesen. Für den Stein, der über dem Tor eingemauert, hab ich selbsten diese Reimen gemacht und hauen lassen:
‚Ach Gott gieb Fried / welcher ernehrt undt steür dem Krieg / der alls verzehrt. / Zerbrich die Schwertt / Spieß Bogn und Pfeil / gib unß hie Fried, dort Ewigs Heyl.’
Hab ich dann auch mit Farben selbsten angestrichen.“

Quellen:
Hermann Braun, „Geschichts-, Lebens- und Raumbild einer bayerischen Grenzstadt“, 1955
Hermann Braun, „Marktredwitz im 30jährigen Krieg, Leopold’sche Hauschronik“, Band 1 (1961) und Band 2 (1963), Nachdruck 1985

 

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