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Der Marktredwitzer Ortsteil Dörflas und das Gerberhaus
von Manfred Schultes

Das denkmalgeschützte Gerberhaus am Zipprothplatz im Marktredwitzer Ortsteil Dörflas ist das Vereinsheim der Ortsgruppe Marktredwitz. Es ist seit Mitte der 1980er Jahre im Eigentum der Stadt Marktredwitz. Vorher war es in Privatbesitz und befand sich zuletzt in einem desolaten Zustand. In den Jahren 1986 bis 1992 wurde es von der Stadt Marktredwitz mit einem Kostenaufwand von etwa 500 000 DM vorbildlich restauriert. Im Jahr 1992 erhielt es die Ortsgruppe zur Nutzung als Vereinsheim.

Die erste urkundliche Erwähnungen von Dörflas erfolgten im Zusammenhang mit der Expansionspolitik des Klosters Waldsassen in den Jahren 1290 und 1314. Als damals noch egerländisches Reichslehen kam Dörflas in den Besitz des Adelsgeschlechts von Sparneck; lediglich ein Hof unterstand dem Markt Redwitz, der zur Reichstadt Eger gehörte. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts geriet es in den Einflussbereich der Nürnberger Burggrafen, später der Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach. Das Wunsiedler Landbuch aus 1499 vermerkt: „Dörffles (...) ligt am marckt Redwitz. Doselbst sind 13 der von Sparneck Lehen. (...) Der Marckt Redwitz hat ein gut doselbst. (...) Doselbst ist das Halsgericht und alle furstliche Obrigkeit der herschaft gein Wunsidl gehorig, allenthalben doselbst umb bis unter des Marckts thor.“ Damit reichte der Einfluss der Markgrafen bis an die Tore von Redwitz, ein Zustand der von Redwitz und von Eger nicht immer akzeptiert wurde.

Der in unmittelbarer Nähe vom Gerberhaus vorbeifließende Kösseinebach bildete somit nicht nur die Grenze zwischen dem Markt Redwitz und dem Flecken Dörflas, sondern auch die Landesgrenze zwischen egerisch-böhmischen und markgräflich-hohenzollerischen Staatsgebiet. Für den Zolleinnehmer baute man unmittelbar in der Nähe des Gerberhauses 1667 auf der Straße ein kleines Häuschen. Dieses „Zollhaus“ wurde in den 1930er Jahren abgerissen.

Eine nähere Schilderung der Grenzsituation des Ortes gibt 1649 der Redwitzer Bürgermeister Georg Leopold in seiner Hauschronik: „in dem etliche 60 Häuser stehen, liegt so nahe an diesem Markt, dass sich die Einwohner beiderseits, von ihren Häusern mit Steinen bewerfen können.“ Angesichts der von Eger betriebenen Gegenreformation und der drohenden Rekatholisierung von Redwitz befürchtet er Ausweichreaktionen zugunsten von Dörflas. Bürger könnten mit ihren Kindstaufen und Hochzeiten „sich anderst wohin begeben. Insonderheit wär Dörfles an der Hand; doselbsten ohnedies alles voll Hanwerksläut und Bierbräuwerk.“ Bei einer solchen Entwicklung würde aus „Dörfles ein Markt und aus Rebitz ein Dorf“. Diese Befürchtungen erwiesen sich jedoch als unbegründet.

1692 erwähnt der Creußener Pfarrer und Magister Johann Will Dörflas in seinem Werk „Das Teutsche Paradeiß in dem vortrefflichen Fichtelberg“: „Nechst über der steinernen Cössein-Brücken stösset an Redwitz das Brandenb. Dörfflas, so seine Dorffweiße fast verlassen, und einem schönen Flecken gleichet.“

1744 starb das Geschlecht der Sparnecker aus. Nachfolger wurden die Reitzenstein auf Reuth, die mit den Sparneckern verwandt waren. Auf dieses Lehensverhältnis weist eine Wappentafel hin, die sich bis heute über dem Eingang des Gasthofs „Goldener Löwe“ in Dörflas befindet. 1792 dankte der letzte Markgraf von Brandenburg-Bayreuth ab. Dörflas kam unter preußische Verwaltung. Dies brachte für die Dörflaser auch unliebsame Neuerungen mit sich, wie z.B. die Militärpflicht für Männer und neue Steuern. 1804 gelangte Dörflas durch Grenzbereinigungsverträge an Bayern; es war ab 1808 dem Landgericht Waldsassen unterstellt. 1816 schließlich wurde auch Redwitz bayerisch, worauf Dörflas zusammen mit Redwitz dem Landgericht Wunsiedel zugeordnet wurde.

Die mit der Grenzsituation verbundenen Probleme schildert der Studienlehrer an der Wunsiedler Lateinschule Andreas Sommerer 1833 in seinem Buch „Das Alexandersbad, die Luisenburg und die Umgebungen derselben, besonders das Interessanteste vom Fichtelgebirge“: „Es fand hier das Besondere statt, daß zu Böhmen nur der Ort selbst, die Feldgüter aber zu einem anderen, dasselbe ringsum umschließenden Gebiete gehörten. Dieß veranlaßte mancherlei Mißverhältnisse, wobei sich jedoch in der Regel die Einwohner wohl befanden. So waren junge Leute, die sich etwa dem Kriegsdienste entzogen hatten, sobald sie die Ringmauer des Marktes bestanden, sicher; Böhmen hinwiederum erhielt selten einen Soldaten aus demselben, weil die Ausgehobenen auf das fremde Gebiet entwichen, oder auch wohl während des Transportes, der durch dasselbe geschehen mußte, gewaltsam befreit wurden. Dagegen mußte ein andermal die Erlaubniß, die Feldfrüchte einzusammeln, von den Franzosen, die das damals noch Preußische Fürstenthum Bayreuth besetzt hielten, mit bedeutenden Opfern erkauft werden.“

Es kam auch mehrfach zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Hier sei an den „Dörflaser Kartoffelkrieg“ erinnert, in dem es wiederholt vorkam, dass die Redwitzer Ackerbürger militärischen Schutz anfordern mussten, wenn sie von den Dörflasern beim Säen, Bestellen oder Abernten ihrer Kartoffeläcker und Getreidefelder ungeschoren bleiben wollten.

Der Journalist Michael Neubauer beschreibt im Jahr 1984 in dem Beitrag „Der kaiserliche Markt Redwitz im Bilde alter Grenz- und Flurkarten“ den Kartoffelkrieg sehr ausführlich. Im Zentrum des Geschehens stand der Fichtenacker. Dieses Flurstück wurde als Lehen an die Freiherrn von Sparneck vergeben und von diesen an die Dörflaser und auch Redwitzer Bürger weiterverliehen. Der Fichtenacker lag nicht weit von der Mittleren Mühle, die sich im Besitz des Müllers Johann Georg Geisel befand. Dessen Schwiegertochter verkaufte die Mühle an den aus Schirnding stammenden Müllermeister Johann Adam Böhm. Den Fichtenacker jedoch verkaufte Geisel an den bayreuthischen Untertan Samuel Miedel, wohnhaft in Dörflas auf dem Bühl, obwohl dem Müller Böhm bereits ein Vorkaufsrecht eingeräumt worden war.

Dann geschah nach Neubauer folgendes: „Kurz darauf muß es passiert sein, daß Böhm „den Miedel bey den Acker so geschlagen, daß er Doctor und parbier von Wunsiedel gebrauchet hat.“ (...) Seinen Höhepunkt erreicht der „Kartoffelkrieg“ 1754. Als Miedel den Fichtenacker bestellen will, macht die „Burgerschafft zu Redwitz ... alzeit Hindernusse“. Der Dörflaser Dorfrichter Wolfgang Adam Rahn erhält daraufhin aus Wunsiedel den Befehl, den Untertan Samuel Miedel bei der Arbeit zu schützen. Stolz berichtet Rahn, er habe mit nur vier Mann den Redwitzer Marktrichter Matheus Kammerer vertrieben, als der mit fünf Bürgern den Miedel beim ackern und düngen hindern wollte. Und als Kammerer später mit 18 Mann kommt, bietet Rahn 18 Dörflaser auf und vertreibt die Nachbarn wiederum, eine dann doch nicht stattfindende Massenprügelei riskierend. Die Redwitzer bitten Eger um Hilfe, geschickt werden ein Premieurlieutnant und etliche 20 Soldaten vom Fürstliche-Esterhazyschen Regiment. Sie kommen auf Schleichwegen in die Exklave, um die Dörflaser nicht vorzuwarnen.

Ernten kann der von den Dorfgenossen so bravourös verteidigte Miedel dann auf dem Fichtenacker allerdings nicht mehr. Das erledigen die egerischen Soldaten. Sie schneiden das Getreide und graben die „Erdöpffel“ aus, die eigentlich den „armen Leuthen“ von Dörflas zugedacht waren. Die Ernte wanderte in den Keller des Müllers Böhm. (...) In der Residenzstadt Bayreuth ist man allerdings nicht so glücklich über die Aktion. Auf eine Beschwerde von Eger muß Rahn erklären, warum bei der Entschädigungs-Ernte „ein großer Unfug mit Schreyen, Jauchzen und Posthornblasen ausgeübet worden“. Der Dorfrichter antwortet bestimmt, davon sei ihm nichts bekannt. Und fügt pfiffig hinzu: „Es wundert mich also sehr, daß der Magistrath in Eger solchen lügenhafften Mähren glaubet“, vor allem, weil doch jeder wisse, daß in Dörflas niemand Posthorn blasen kann.“

Im 19. Jahrhundert entstand in Dörflas die erste Textil-Manufaktur von Johann Benker als Verlag, der außerhalb seiner eigenen Betriebstätte Heimarbeiter als Weber beschäftigte. Die Hauswebereien entwickelten sich zur wichtigsten Einnahmequelle der Bewohner. Die Dozenten an der Erlangener Friedrichs-Alexander-Universität August Goldfuß und Gustav Bischof stellen in ihrer „Physikalisch-statistische Beschreibung des Fichtelberges“ im Jahre 1817 hierzu fest: „Der Weg führt zuerst nach Dörflas, einem Oertchen, welches über 40 ansehnliche Häuser zählt, und von ackerbautreibenden Bürgern und einigen Manufacturisten bewohnt wird. Es bildet gleichsam eine Vorstadt des Marktes Redwitz, welcher bis zum April dieses Jahres unter Böhmischer Landeshoheit stand, ringsum aber von Baierischem Territorio umgrenzt war.“

Ende des 19. Jahrhunderts existieren vier Textilunternehmen in Dörflas, drei davon als Industriebetriebe (die Buntwebereien Johann Benker, Rößler und Benker & Bauer) und einer als Manufaktur (Zipproth & Dengler). Der größte Teil der Dörflaser war in einem Industriebetrieb am Ort oder im benachbarten Redwitz beschäftigt. Die Einwohnerzahl stieg stark an, von 737 im Jahr 1840 auf 1270 im Jahr 1900. Auch während des Eisenbahnbaus in den Jahren 1873 bis 1885 ließen sich hier viele Bahnarbeiter nieder, vor allem Tschechen, Polen und Italiener.

Der Marktredwitzer Kaufmann und Heimatforscher Oskar Gebhardt würdigt in seinem „Abriss der Geschichte und Topographie von Markt-Redwitz und seinen Nachbarorten Dörflas und Oberredwitz“ aus dem Jahre 1906 die Verdienste der Unternehmerfamilie Benker: „Dörflas hat sich im letzten Jahrzehnt, dank den mit pekuniären Opfern verknüpften Bemühungen der dortselbst eine großartige Buntweberei betreibenden Firma Johann Benker, wesentlich gehoben und gegen früher verschönert, auch ließen einige andere Industrielle Bauten aufführen. Außerdem verdanken Dörflas und Redwitz der Munifizenz des kgl. Kommerzienrates Karl Benker die Erbauung und materielle Unterstützung eines evangelischen Diakonissenheims, in welchem Schwestern des Augsburger Mutterhauses tätig sind, deren Aufopferung und Tüchtigkeit in ihrem schweren Beruf, wie die Segnungen dieses Instituts für innere Mission überhaupt, ja zur Genüge allerorten bekannt sind.“ 1927 beschäftigte allein die Firma Benker 1000 Personen.

Nach langen Verhandlungen unterzeichneten am 19.9.1938 die Bürgermeister Zeitner für Marktredwitz und Heinrich Dick für Dörflas den Eingemeindungsvertrag, mit dem Dörflas zum 1.4.1939 ein Ortsteil der Stadt Marktredwitz wurde.

Heute existiert von den Textilunternehmen nur noch die Firma OBTA Weberei GmbH & Co, die in einigen Räumen der Benker-Fabrik ein Weberei betreibt. Mit der Firma ABM Greiffenberger Antriebstechnik hat ein bedeutendes Unternehmen seinen Sitz in Dörflas, das mit seinen Elektromotoren vielfältige Antriebslösungen produziert.

Nun soll auf die Geschichte des Gerberhauses näher eingegangen werden. Das genaue Alter des Hauses ist nicht bekannt. 1781 brachte es Gerbermeister Christoph Arzberger in die heutige Gestalt. Bereits vorhandene Bauteile wurden hierbei integriert; gleichzeitig erhöhte er das Haus um ein Stockwerk und um die Dachböden. Aus dem Ursprungsbau stammen wohl noch die gewölbten Räume im Erdgeschoss, der Granittürstock und der gewölbte Raum im ersten Stock. Lebensnotwendig für die Gerberei war der Mühlbach, der damals unmittelbar an der Nordwestseite des Hauses vorbeifloss. Ferner baute man für das Gerberhandwerk notwendige Einrichtungen ein, wie die zum Aufhängen der Häute erforderlichen Trockenböden im zweiten Ober- und im Dachgeschoss und die hölzerne Trockengalerie mit Lüftungsklappen, die bis heute erhalten ist. Das Haus diente so bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts den Dörflaser Rotgerbern als Wohn- und Arbeitsstätte. Die Rotgerberei ist ein Gerberfahren, bei dem – im Gegensatz zur Weißgerberei – nur pflanzliche Gerbstoffe verwendet werden. Ihren Höhepunkt hatte die Gerberei in Dörflas Ende des 18. Jahrhunderts, als das hier produzierte Saffianleder über Nürnberg ausgeführt wurde und weite Verbreitung fand. Eine Besonderheit am Gerberhaus ist die noch vorhandene Milchgrube, in der die Dörflaser Bauern ihre Milch mit fließendem Wasser kühlten.

Die Rotgerberei wurde im Haus jedoch nur wenige Jahrzehnte betrieben. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts übte dort ein Nachfahre des Erbauers das Schumacherhandwerk aus. Daher ist auch noch der Name „Schusterhaus“ gebräuchlich. In den 1950er Jahren befand sich im Erdgeschoss ein Fischgeschäft; der „Fisch-Hermann“ ist den alten Marktredwitzern noch ein Begriff.

Auf dem Platz vor dem Gerberhaus ist in den Boden ein Kreuz eingelassen, der sog. „Mordstein“. Er soll an ein Verbrechen erinnern, das hier verübt wurde. Oskar Gebhardt beschreibt die Mordtat so: „Um das Jahr 1625 (?) waren zwei Brüder Burger von Tirschenreuth, wo man sie wegen ihres lutherischen Glaubens nicht mehr duldete, nach Dörflas verzogen. Der eine Bruder baute sich dann die sogenannte Burgermühle und betrieb auch eine Weißbierbrauerei in Dörflas. Durch Wasserentziehung wegen des Burger’schen Mühlenbetriebes sah sich nun der Besitzer der Troglauermühle schwer geschädigt, er wurde zum Todfeind des Burger und eines Tages, als Burger auf dem freien Platze in Dörflas stand, schoß ihn der Troglauermüller vom Fenster seines Anwesens aus nieder.“

Auf dem weitläufigen Gelände der ehemaligen Benker-Fabrik wird im Mai 2006 die grenzüberschreitende Gartenschau Marktredwitz-Eger eröffnet. Das Gerberhaus befindet sich direkt am stadtseitigen Haupteingang zur Schau. Auch aus diesem Grund richtet der FGV seinen Fichtelgebirgstag im Jahre 2006 in Marktredwitz aus.
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Quellen:
Edith Kalbskopf/Elisabeth Fendl, „Dörflaser Geschichte(n)“, Katalog zu einer Ausstellung des Stadtarchivs und des Egerland-Museums Marktredwitz, 1992
 

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