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Der Marktredwitzer Krippenweg
von Manfred Schultes

Die Marktredwitzer Landschaftskrippen stellen in ihrer Gestaltung und ihrer Lebensnähe eine für unsere Region einzigartige Besonderheit dar. Das eigentliche Krippengeschehen tritt optisch in den Hintergrund, die Krippen werden vielmehr geprägt vom bürgerlichen und bäuerlichen Leben, das sich vor einer Alpenkulisse abspielt.

In katholischen Gegenden herrscht eine rege Krippentradition; in evangelischen Gebieten, wie in Marktredwitz, das 1560 zum evangelischen Glauben übergetreten ist, existiert sie kaum. Warum stellen dann die Marktredwitzer Weihnachtskrippen auf? Diese Besonderheit lässt sich auf drei unterschiedliche Weisen erklären. Redwitz lag zwischen den katholischen Gebieten Böhmens und der Oberpfalz und wurde ab 1763 österreichische Garnisonsstadt. In der von der österreichischen Kaiserin Maria Theresia 1777 gestifteten Theresienkirche wurde sicherlich eine Weihnachtskrippe aufgestellt und die protestantischen Redwitzer Bürger fanden Gefallen daran. Nach einer zweiten These brachten Salzburger Emigranten, die wegen ihres evangelischen Glaubens Zuflucht in Redwitz suchten, die ersten Krippenfiguren mit. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass an der alten Handelstraße zwischen Prag und Nürnberg, an der Redwitz lag, einmal Krippenfiguren hier liegengeblieben sind.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann die große Zeit der Marktredwitzer Landschaftskrippen. Das heimische Töpferhandwerk bekam Konkurrenz durch das neue Emaille- und Porzellangeschirr. Die Töpfer schauten sich nach neuen Erwerbsquellen um und begannen Krippenfiguren aus Ton zu formen, zu brennen und mit Farben bunt zu bemalen. Besonders hervorgetan hat sich hier die Hafnerfamilie Meyer. Kaspar Meyer (1820-1886) kaufte in der Dammstraße ein Haus in dem er die Figuren modellierte und brannte; seit dieser Zeit trägt die Familie den Hausnamen „Damm-Hafner“. 1886 übernahm Töpfermeister Wilhelm Meyer (1856-1935) das väterliche Gewerbe. Er machte mit seinen Tonfiguren, deren Formgebung und Bemalung künstlerische Qualitäten erreichten, den Namen der Damm-Hafner weit über Marktredwitz hinaus bekannt. In die Fußstapfen seines Vaters trat Karl Meyer (1895-1972), der bis an sein Lebensende Tonfiguren fertigte. Es gab aber auch noch andere Hersteller. So sind Karl Patz und dessen Söhne Hans und Gustl zu nennen, deren Tierfiguren heute noch sehr geschätzt werden, und Max Völkel aus Brand.

Neben den klassischen Krippenfiguren beinhalten die Marktredwitzer Landschaftskrippen auch Darstellungen aus dem Leben Christi und dem neuen Testament, die dann in einer „orientalischen Krippe“ gezeigt werden. Weitaus häufiger findet man jedoch Tiere und Menschen, diese vor allem in alpenländischer Kleidung, so dass bäuerliches und bürgerliches Leben Einzug in die Krippe hält. Auf Wunsch der Kundschaft fertigten die Töpfer ihre Figuren auch nach Vorlagen aus Büchern und Zeitschriften oder nach Gemälden der Kunstmaler Defregger, Leibl und Gritzner. Auch frühere Marktredwitzer Originale stehen in der Krippe, so der Klempnermeister Georg Meyer, genannt „Hemmärml-Schorsch“, der Polizeidiener Küspert, der Förster Grießhammer, der Baumeister Mühlhöfer und natürlich der Töpfermeister Karl Meyer höchstpersönlich. Sogar Personen der Zeitgeschichte wurden aus Ton gebrannt, so der deutsche Kaiser Wilhelm II., der österreichische Kaiser Franz Joseph II. oder der populäre Prinzregent Luitpold von Bayern.

Eine weitere Besonderheit der Marktredwitzer Krippen sind die „Stickla“. Hierbei handelt es sich um Figurengruppen die eine alltägliche Szene verdeutlichen: der Förster stellt einen Holzdieb, ein Schwein wird geschlachtet oder die Musik spielt zum Brucktanz auf.

Doch warum ist in den Krippen nicht die Landschaft des Fichtelgebirges sondern die der Alpen zu sehen? Die heimische Landschaft konnte nach Meinung der Bevölkerung vor über hundert Jahren mit der romantischen alpenländischen Gebirgslandschaft nicht mithalten. Urlaubsreisen in die Alpen waren nur für wenige erschwinglich. Deshalb setzten die Kripperer ihre Phantasie in eine für sie nicht alltägliche Szenerie um und brachten so ihre Illusionen in die Krippe ein.

Die „Kripperer“ sind in der Vorweihnachtszeit Jahr für Jahr wochenlang mit dem Krippenaufstellen beschäftigt. Sie gestalten die Landschaft mit Steinen, Wurzeln, Holzkisten, Baumrinde und Polstern aus Moos immer wieder neu. Es ist durchaus üblich, dass die Krippe die Größe eines Zimmers erreicht, manche Krippenlandschaft nimmt eine Fläche von bis zu vierzig Quadratmetern ein.

Aus dem fast verschwundenen Brauch des Krippenschauens entstand 1989 wieder der „Marktredwitzer Krippenweg“. Er führt in Kirchen und – das ist das Besondere – auch in die Privathäuser der Krippenbesitzer. Sie vermitteln damit zahlreichen Besuchern aus nah und fern ein Stück Marktredwitzer Kultur. Da die Krippen jedes Jahr neu gestaltet werden, lohnt sich auch ein mehrmaliger Besuch, denn es gibt immer wieder neue „Stickla“ und Landschaften zu entdecken.

Unter den „Kripperern“ befinden sich auch Mitglieder der Marktredwitzer FGV-Ortsgruppe. Deren Krippen sollen kurz vorgestellt werden.

Die Krippe der Familie Arzberger stammt vom Großvater des jetzigen Besitzers Hans Arzberger. Sie wird mit ihren rund 250 Figuren und einer vierzehn Quadratmeter großen Krippenlandschaft wieder seit 40 Jahren aufgebaut. Schreinermeister Arzberger baute mit viel Geschick die 26 Krippenhäuser und die Wagen der Bauern selbst.

Wie jede Krippe bestand auch die der Familie Dick anfangs nur aus der Geburt, einem Bauernhof, Jägern, Rindvieh und Ziegen. Sie wird erstmals vom Schweinehändler Heinrich Dick 1935 auf einem Tisch aufgebaut. Die jetzigen Besitzer Heinrich und Renate Dick vergrößerten sie ständig bis auf eine Fläche von vierzig Quadratmetern, in der etwa sechzig Häuser und 700 Figuren zu bewundern sind. Jedes Jahr steht die Krippe unter einem anderen Motto.

Gerlinde Kolb erinnert sich noch oft daran, wie sie heimlich auf dem Dachboden mit den Krippenfiguren der Großmutter spielte. Wegen dieser Kindheitserinnerungen baut die Familie Kolb die Krippe seit 25 Jahren wieder regelmäßig auf. Sie ist zehn Quadratmeter groß und zeigt etwa 12 Häuser und 300 Figuren.

Insgesamt bestand der Krippenweg 2005/2006 aus 23 Stationen. Neben den genannten Krippen sind folgende Familien beteiligt: Albin Artmann, Walter Bruckner (Brand), Gerd Dickler (Wölsau), Werner Flügel (Wölsau), Alfred Geyer (Brand), Manfred Grieshammer, Dieter Pinzer, Willi Pinzer, Helmut Rahn und Hermann Rieß (Wölsau). In den Kirchen St. Bartholomäus und St. Josef (Marktredwitz) und St. Margarethen und St. Michael (Brand) werden ebenfalls Krippen gezeigt. Weitere Krippen befinden sich im Egerland-Kulturhaus und im Kösseine-Einkaufs-Center. Der Weltladen stellt internationale Krippen in seinem Ladengeschäft, im Klinikum Fichtelgebirge und im Martin-Schalling-Haus aus. Rund um die Uhr kann die Brunnenkrippe am Markt besichtigt werden.

Die FGV-Mitglieder Manfred Schultes und Gerhard Bayerl haben 1998 dem Marktredwitzer Krippenweg einen liebevoll gestalteten Bildband gewidmet. Sie fotografierten die Krippen bewusst nicht in ihrer Gesamtheit, sondern typische Einzelheiten und Stickla. Hintergrundinformationen und Anekdoten runden den Band ab.

Quelle:
Gerhard Bayerl/Manfred Schultes, „Marktredwitzer Krippenweg“, 1998

 

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