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Der Vichtelberg,… in der alten Nariscen Land gelegen

Werner Honig, Selb

Am 20. November 2007 jährt sich zum 450. Mal der Todestag von Kaspar Brusch, der als erster eine ausführliche Beschreibung des Fichtelgebirges herausbrachte. Sein damals weit verbreitetes Werk „ Des Vichtelbergs/in der alten Nariscenland gelegen/aus welchem vier schiffreiche wasser/der Mein/die Eger/die Nab und Saal/entspringen/gründtliche beschreibung. Darinnen vil alter historie erkleret werden“,  in dem er umfassend über die Geschichte und die Geographie des Fichtelgebirges berichtete,  verschaffte ihm den Platz auf einer Ehrentafel im Asenturm auf dem Ochsenkopf.  Den Gepflogenheiten seiner Zeit  entsprechend nannte er sich latinisiert Gaspar Bruschius. Sein Studium begann er 1536 an der Universität Tübingen, von 1537 bis 1540 sehen wir ihn in Ulm. Dann war er Schulmeisterin Straubing, 1541 lebte er in Regensburg. Seine nächsten Stationen waren Wittenberg, Leipzig, Arnstadt, Schmalkalden und Lindau. Dazwischen hielt er sich immer wieder in Wunsiedel auf. Fast drei Jahre hat er an seinem Werk über den „Vichtelberg“ gearbeitet. Als er 1557 von einem Besuch in Rothenburg nach Pettendorf in der Oberpfalz zurückritt, wurde er von der Kugel eines Mörders getroffen.

In den Fünfziger-Jahren erschienen im Siebenstern einige Veröffentlichungen von Hans Küfner [1] zu Kaspar Brusch und  bereits 1929 veröffentlichte der Gymnasialdirektor Florian Hintner eine Aufsatzreihe über das Leben und Werk von Kaspar Brusch (Siebenstern, Jahrgang 1929, Seiten 26 – 28, 38 – 46 und 49 – 55). Auch Elisabeth Jäger widmete in ihrem Band I „Wunsiedel 1163 -1560“ Kaspar Bruschius und seiner „Gründlichen Beschreibung des Fichtelgebirges“ ein Kapitel [2]. Dabei weist Elisabeth Jäger auf einen Umstand hin, der Fragen aufwirft; und zwar die so sichere Behauptung von Caspar Bruschius, dass der „Vichtelberg in der alten Nariscen Land gelegen“ sei.

 Diese Naristi  (in der Geschichtsschreibung werden sie Naristen, Varisten und auch Narister bezeichnet) sind aus der „Germania“ des römischen Geschichtsschreibers Tacitus [3] bekannt. Tacitus zählt in seinem Werk dem Lauf der Donau folgend als Besiedlung Süddeutschlands die germanischen Stämme von Westen nach Osten auf und beginnt dabei mit den Hermunduren, dann folgen die Narister, dann die Markomannen und Quaden. Mit den Hermunduren trieben die Römer am Limes und am Donauufer Handel. Damit ist das Siedelgebiet der Hermunduren in etwa umrissen.  Da Tacitus darauf hinweist, dass die Markomannen ihr eigenes Land durch ihre Tapferkeit errungen haben, weil sie daraus vor langer Zeit die Bojer verdrängt hatten, wissen wir, dass also zur Zeit des Tacitus die Markomannen  Böhmen besiedelt haben müssen.  Und dazwischen lagen also die Wohnsitze der Naristen, also etwa im Bereich der heutigen Oberpfalz. Brusch beschreibt sogar exakt  das Gebiet, das die Narisken bewohnt haben sollen: „…welche man heutigs tags noch das Norckau nennet, liegt zwischen der Thonau, Elb und Main, grentzet an Bamberg, Nürnberg, Coburg wird itzt getheilt ins Voitland, die obere Pfalz, das Egerlendlein und in der Peckler Art (= Sechsämterland) [2].

Nun hat Hans Küfner, der sich sehr ausführlich mit Bruschius beschäftigte und wohl auch viel Bewunderung für ihn empfand, vielleicht unter dem Eindruck der zu seiner Zeit gerade  „modernen“ Forschung geschrieben, dass Brusch  den tüchtigen Stamm der Nariscen  als Bewohner „seines“ Fichtelgebirges in Anspruch nahm, weil ein bekannter römischer Autor diese Nariscen lobend hervorgehoben hatte  und dabei weniger kritisch die „tatsächlichen“ Wohnorte der Nariscen beachtete. Küfner schrieb wörtlich: „Die Angelegenheit aber genau nachzuprüfen, lag den Volkstumskonstrukteuren des 16. Jahrhunderts fern; denn die Humanisten waren zwar sehr gelehrte, aber zuweilen recht wenig kritische Leute.“  In der Zeit um 1950 gab es nämlich eine Reihe von Forschern, die die Wohnsitze der Naristen ganz woanders gesucht haben, so z.B. „zwischen dem südböhmischen Bergland und der Donau, d.h. in dem nördlich der Donau gelegenen Teil  von Oberösterreich“, aber auch „im Nordwesten der Slowakei“ oder   „ in einem Bereich nicht allzu weit von Pannonien superior entfernt“. Prof. Dr. Karlheinz Dietz schreibt, unter den Gegnern Roms seien zur Zeit der Markomannenkriege auch das Volk der Naristen gewesen, „… dessen Heimat die ältere Forschung in der Oberpfalz sehen wollte“ [4]. Anlass für diese modernere Einschätzung der Wohnsitze der Naristen war die Auffindung einer Inschrift in Diana Veteranorum (Ostalgerien). Dieser Inschrift zufolge soll sich ein Präfekt M. V. Maximianus im Markomannenkrieg besonders tapfer gegen die Naristen im Kampf eingesetzt und einen Valeo, dux Naristarum eigenhändig getötet haben. Aus der Tatsache, dass bei dieser Schlacht Markomannen, Naristen und Quaden gemeinsam gekämpft haben, will man den Schluss ziehen, dass sie dann wohl auch nahe beieinander gewohnt haben müssen.

Mit der Problematik der Wohnsitze der Naristen hat sich Dr. Alois Pabst aus Schirmitz im 24. Band der „Oberpfälzer Heimat“ eingehend beschäftigt [5]. Er hat die bekannten Tatsachen gründlich analysiert und kommt zu dem Schluss, dass es eine ganze Reihe von Gründen gibt, die Wohnsitze der Naristen  nach wie vor in der Oberpfalz zu suchen.

Zwar weist  Elisabeth Jäger darauf hin, dass die Naristen wohl mehr in der südlichen Oberpfalz  gewohnt haben müssen. Das trifft  sicher auch zu.  Aber das Stammesgebiet dieses Volkes war doch sicher weitaus größer als nur die Uferregionen des Regen. Die Aussagen über die Wohnsitze der Naristen am Regen gehen zurück auf die „Vita Sancti Ermenfredi, c. 1 Acta Sanctorum, Sept. VII, 117“ des Egilbert. Dort wird berichtet, dass „Varasci“, die zu beiden Seiten des Doubs lebten, den Missionaren aus Luxeuil erzählten, ihre Vorfahren seien aus dem Gau Stadevanga am Fluss Regen gekommen. Die  Ansiedlung von Varasci  in Burgund lag zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon ca. 200 Jahre zurück. Als 531 der Merowinger Theuderich  das Thüringerreich (und im Verbund mit  diesem Reich standen wohl auch die Naristen) unterworfen hatte, wurde ein Teil der Naristen von den Merowingern zwangsumgesiedelt.  Das darf aber nicht zu dem Schluss führen, die Franken hätten das gesamte Volk der Naristen umgesiedelt.

Um auf Kaspar Brusch zurückzukommen, muss man sich daher fragen, weshalb seine Aussage „in der alten Nariscen Land gelegen“ nach den Ansichten der modernen Forschung unbedingt falsch sein soll. Immerhin war Brusch noch ca. 500 Jahre näher am Geschehen als wir heute. Bekannt ist, dass Brusch gute Kontakte zu  Johann Turmair  (1477 bis 1534), dem Humanisten Aventinus aus Abensberg unterhielt.  Bei seinen Forschungen hat Turmair, wie er selbst sagte, „all winkel durchschloffen und durchsucht“. Es gibt da Quellen, aus denen er schöpfte, die aber heute als verschollen gelten. Wir wissen nicht, inwieweit diese Quellen auch Bruschius zugänglich waren. So könnte Bruschius durchaus Zugang zu Informationen gehabt haben, die uns heute nicht mehr bekannt sind.

Solange aus heutiger Sicht eine exakte Aussage zu den Wohnsitzen der Naristen noch nicht möglich ist, sollte immerhin eine Spekulation erlaubt sein: Angenommen, die gestürzten Zwielaute, die eine Eigenart des in der Oberpfalz und den nördlichen Randgebieten gesprochenen Dialekts sind, der in der Fachwelt als „nordbairisch“ bezeichnet wird, wären ein Relikt aus der Sprache der Naristen. Dann könnte man den Bereich, in dem  noch heute die gestürzten Zwielaute gesprochen werden (also knöi  für Knie, Bröih für Brühe, pöis für böse, rout für rot,  gout für gut, Bou  für Bub und Rouh für Ruhe) auch in etwa  das Siedelgebiet der Naristen bezeichnen. So gesehen wäre dann ein großer Teil des Fichtelgebirges tatsächlich  „… in der alten Nariscen Land gelegen“.

Literatur:
[1]  Hans Küfner „Kaspar Brusch und die Nariscen“ in „Siebenstern“ 19

55, Heft 5
[2]  Elisabeth Jäger „Wunsiedel 1163-1560“, Wunsiedel 1987
[3]  Tacitus „Germania“ lateinisch und deutsch von Gerhard Perl, Berlin 1990
[4]  Karlheinz Dietz in „Die Römer in Bayern“, Stuttgart 1995
[5]  Alois Pabst „Nordgau und Naristen“ in Oberpfälzer Heimat, 24. Band, Weiden 1980
Autorenanschrift:
Werner Honig, Theodor-Fontane-Weg 13, 95100 Selb

 

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