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Die Moosleute des Fichtelgebirges und des Vogtlandes
Günter Reizenstein

Die Teilung Deutschlands unterbrach auch die historisch entstandenen nachbarschaftlichen engen Beziehungen des bayrischen Fichtelgebirges und des sächsischen Vogtlandes. Über die Jahre der Trennung hinweg haben sich aber neben vielen anderen im Volke wurzelnden Ge-meinsamkeiten die Erzählungen um die sagenhaften Bewohner des Landes, die Moosleute, erhalten. Im Vogtland ist es der Moosmann, dem ein Moosweiblein zur Seite steht. Seine Heimat sind die weiten Fichtenwälder zwischen Markneukirchen, Schöneck, Falkenstein bis zum Schneckenstein und Aschberg.  Im Fichtelgebirge ist es die Sage vom Moosweiblein, die man sich auch in und um Warmensteinach erzählt.

Die Moosleute ernähren sich von den Früchten des Waldes, ihre Kleider und die Kopfbedeckungen sind dicht mit Moos bedeckt. Es sind gütige, menschenfreundliche Waldgeister die die Waldarbeiter während ihrer gefahrvollen Arbeit beschützen, helfen Kindern und alten reisigsammelnden Weiblein beim Tragen der schweren Körbe.

Doch die Moosleute haben nicht nur Freunde. Ihr Feind ist der „Wilde Jäger“. Schutz vor ihm finden Sie unter Wurzeln, in denen drei Kreuze eingeschlagen worden sind. Diese drei Kreuze stehen für „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Waldarbeiter kerben sie in den Baumstamm ein, damit der Baum beim Fallen keinen Schaden anrichtet und so der Holzfäller nach getaner harter Arbeit heil und unverletzt zu seiner Familie zurückkehren kann.

Die Moosleute belohnen Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen. Sie schenken eine handvoll einfaches Laub, welches sich dann daheim in den armseligen Stuben der einfachen Menschen in pures Gold verwandelt. Somit wird die materielle Not dieser Menschen durch ihre hilfreiche Güte gegenüber den Moosleuten gelindert.  

Um die Weihnachtszeit, wenn es der „Wilde Jäger“ gar zu Arg mit den kleinen Moosleuten treibt, die Nächte länger und kälter werden, suchen sie im Vogtland Schutz bei den Menschen in den weihnachtlichen Stuben. Dort erhalten sie Essen, Wärme, Geborgenheit und einen trockenen Platz am Fenster. Als Dank hält der Moosmann mit einer brennenden Kerze den „Wilden Jäger“  vom Haus seines Menschen fern. Er spendet mit der Kerze in der Hand Licht und Wärme und gebietet so den Unhold und seinen wilden Horden in den zwölf Unternächten Einhalt.

Auch diese volkstümliche Sage beruht wohl vorerst auf mündlicher Überlieferung. Gehört doch zur Sagenwelt die phantasievolle Ausschmückung der Begegnungen der Menschen mit Riesen, Zwergen, Elfen und Menschen mit übernatürlichen Kräften, aber ebenso kommen böse Geister, Bestien, Dämonen und immer wieder der Teufel vor.

 Grenzübergreifend haben schon in den vergangenen Zeiten die Menschen sich mit der erlebten Umwelt auseinander setzen müssen, glichen sich doch vielfach ihre Lebensumstände und Gesinnung, ihre Ängste und Nöte im Kampf um das tägliche Leben, aber auch ihre Hoff-nungen. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich auch die Sageninhalte um die Moosmänn-lein und – weiblein gleichen.
Im Fichtelgebirge wurde in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Verschönerungsverein Warmensteinach mit Hilfe von EU- Fördermitteln ein am Freizeithaus beginnender 5 km langer Informations-Wanderweg angelegt, der auf 17 Stationen einen Überblick über „Historische Spuren zu Wasser und Landschaft“ gibt. An einer dieser Stationen wird der Wanderer auch mit der Sage vom Moosweiblein bekannt gemacht. Auf wetterfesten Tafeln kann der Text der Sage in Mundartfassung nachgelesen werden.
Es ist eine gute Idee, die territoriale Sagenwelt in einen Wanderweg einzubeziehen und di

e Sage als kulturhistorisches Dokument auch auf diese Art zu würdigen. Letztlich sind die Sagen eine der Zugangsformen zum Verständnis der sozialen und anderen Bedingungen unserer Vorfahren, zu ihren alltäglichen Sorgen, Bedrängnissen, Wünschen und Träumen. Die in der vergangenen Zeit oftmals im Alltagsgeschehen untergegangenen Sagen werden somit wieder zum Leben erweckt und informativ im Rundwanderweg von Warmensteinach auch für den Fremden nachvollziehbar dargestellt.

Das Moosweiblein hat zwischenzeitlich im Kurpark von Bischofsgrün eine feste und sichere Unterkunft gefunden. Dort wurden drei Kreuze im verbliebenen Stumpf eines gefällten Baumes eingeschlagen.

Die Sage vom Moosweiblein

Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, in welcher Armut, begleitet von der Sorge um das tägliche Brot, unsere Vorfahren im Steinachtal ihr Leben fristen mussten. Oft waren nicht einmal genügend Kartoffeln oder nur trockenes Brot im Hause, um den größten Hunger zu stillen.

So war es auch nicht verwunderlich, dass die bettelarme und kränkliche Tagelöhnerswitwe Elisabeth ihre zwölfjährige Tochter schon vor Tagesanbruch aus dem Bett holte: „Annerle! Mach Di ferti, Du musst heit ins Kropfbochdohl. Dort gibt’s die schennstn Himbeer. Vielleicht findst aa a bohr Hoselniss!“

Elisabeth hatte der kleinen Anna schon den Huckelkorb und einen irdenen Krug hingestellt. Sie legte ihr noch einen Kanten trockenes Brot in den Korb und schickte sie los: „bi fleißi und kumm vor Nochd widda haam!“
Das Annerle sammelte den ganzen Vormittag über mit großem Eifer Beeren und Nüsse: „Do wird di Mudda sich obba freia, wenn sa die vieln Beer sichd. Und Niss hobi aa scho an ganzen Haufn.“

Sie setzte sich auf einen Holzstock, um zu ihrem Brot ein wenig von den Vorräten zu schmausen. Plötzlich sah sie ein winziges Wesen auf der Lichtung herumhüpfen. Das sah ja aus wie eine alte Frau! Sein Rock war braun und steif wie Baumrinde, der Kittel aus Moos. Allerdings glänzte und glitzerte es in der Mittagssonne wie Gold. Auch ein Kopftuch trug das Weiblein, wie es die Frauen in Warmensteinach aufhatten.

Es sprang von Baumstumpf zu Baumstumpf, schaute angestrengt auf jeden, schüttelte den Kopf und sprang zum nächsten.
Das ging eine ganze Weile so, bis es in bitteres Weinen ausbrach. Das Annerl wollte schon zu dem Weiblein hineilen, als dieses plötzlich an einem Baumstumpf innehielt, zu weinen aufhörte, wie närrisch herumtanzte und mit einem Satz hinauf sprang.
Jetzt ließ es sich ganz bequem nieder, verschränkte die Hände im Schoß und nahm ein Sonnenbad.
Als es das Annerl erblickte, winkte das Weible mit beiden Armen und bedeutete ihm, doch herzukommen. Erschrocken schüttelte dieses den Kopf und meinte:
„Wennst wos vo mihr willst, musst schon herkumma!“
„Ich kann ja net“, jammerte das Weiblein. „Seit die gottlosen Holzhauer keine Kreuzlein mehr in die Holzstümpfe schlagen, kann ich mich nirgends mehr hinsetzen. Ich bin nämlich des Moosweiblein, und mein größter Feind ist der wilde Jäger, der mir nur auf Baumstümpfen mit den

Kreuzlein nichts anhaben kann.“

Mitleidig kam das Annerle näher und setzte sich neben das kleine Wesen. „Moosweiblein ist den ganzen Tag gelaufen und hat Hunger“, fing das kleine Geschöpf erneut an. „Hast Du nichts zu essen für mich?“ Annerle holte eine Hand voll Himbeeren und ein paar Nüsse aus ihrem Korb und legte sie dem Moosweiblein in den Schoß. Richtig gierig machte sich diese darüber her, während das gute Mädchen ihm still zuschaute. Es freute sich aufrichtig, dass es dem Moosweiblein so gut schmeckte.

Nachdem es alles verzehrt hatte, sprang das Weiblein mit einem Satz von seinen Stumpf herunter, strich dem Annerl über das Gesicht und sagte: „Hab Dank Du gutes Menschenkind. Du hast dem Moosweiblein viel Gutes getan, es wird Dich nicht vergessen.“ Dann humpelte es flink davon und verschwand im Unterholz.

Das fleißige Mädchen aber machte sich wieder an seine Arbeit und füllte seine Gefäße bis an den Rand. Beim Läuten des Gebetsglöckchens kam es heim und erzählte der Mutter von ihrem aufregenden Erlebnis.
„Du bist a brohvs Kiend und iech freii miech, dass Du a sua guuds Herz host. Oba eigentlich hätt dier as Moosweibla scho a glaana Belohnung gebm kenna, “ stellte die Mutter fest.

Als sie aber später die Beeren auf den Tisch schüttete, um sie sauber auszulesen, fielen lauter Goldkörner aus dem irdenen Krug. Das Annerle hätte sich fast einen Zahn ausgebissen, als es eine Haselnuss knacken wollte, und ein goldener Kern zum Vorschein kam.
Nachdem alle Haselnüsse geöffnet waren, stellte sich heraus, dass in jeder, statt einer Nuss, ein Goldklumpen war. Alle Not war jetzt aus der Hütte verbannt, und für Mutter und Tochter begann eine glückliche Zeit.

Anschrift des Verfassers:
Günter Reitzenstein, Rothenbacher Straße 5, 08371 Glauchau

Dieser Aufsatz ist erschienen in Der Siebenstern 2008, S. 312 - 314

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