Bayern-Fichtelgebirge >>> Zurück

Kirchenpingarten — „Herz der Frankenpfalz“

Jürgen-Joachim Taegert

 

Die Frankenpfalz im Fichtelgebirge um Kirchenpingarten, an der Nahtstelle zwischen Franken und Pfalz gelegen und seit jeher zum Bezirk Oberfranken gehörend, wirkt im allgemeinen Bewusstsein immer noch als Findelkind: kaum bekannt, verwundert beäugt wegen ihrer fremden Sprache und Kultur und schwer einzuordnen.

 

Der evangelische Ruhestandspfarrer Jürgen-Joachim Taegert, 2006 mit seiner Frau in  Kirchenpingarten zugezogen, hat sein Interesse der Geschichte und Kultur seiner neuen Heimat im südlichen Fichtelgebirge zugewandt und darüber inzwischen mehrere Broschüren und Bücher verfasst, von denen einige auch im Siebenstern besprochen werden sollen. Mit einem Abschnitt aus dem jüngsten „Marterlbuch“ stellen wir diese Landschaft hier vor:

 

Kirchenpingarten bezeichnet sich mit Recht als „Herz der Frankenpfalz“. Dieser Name für das Gebiet am südlichen Fichtelgebirgsrand beschreibt die historische Berührung des fränkischen Radenzgaues mit dem Bayerischen Nordgau und bringt die geschichtlich gewachsene Bevölkerungs- und Kulturvermischung der Franken und Bayern zum Ausdruck. Zusammen mit den bereits seit dem 8. Jh. dort siedelnden Slawen haben diese unterschiedlichen Stämme seit 1000 Jahren lernen müssen, friedlich miteinander auszukommen.

 

Der Begriff „Frankenpfalz“, 1964 in Kirchenpingarten mit der Entstehung der Landjugend aufgekommen, ist freilich nicht geschützt. 2009 wurde die Bezeichnung auch von den Nachbargemeinden Speichersdorf, Seybothenreuth, Emtmannsberg und Weidenberg als gemeinsame Gebietsbezeichnung im  Rahmen der Zusammenarbeit  in der Integrierten Ländlichen Entwicklung ILE mit übernommen und mit einem eigenen Logo versehen. Zur Unterscheidung von anderen Gegenden des bayerisch-fränkischen Grenzbereichs, die heute zur Vermarktung den gleichen Ausdruck entdecken, wird neuerdings hinzugefügt: „im Fichtelgebirge“. Im eigentlichen Sinn einer gewachsenen Identität passt „Frankenpfalz“ aber vor allem für den Raum um Kirchenpingarten, der im „Heimatbuch Frankenpfalz“ und im „Marterlbuch“ genauer untersucht wird.

 

Geschichte:

 

Wie das gesamte Umland der „Frankenpfalz-Flednitz“, das mit den Ortsnamen Kulmain, Kemnath, Rauher Kulm, Speichersdorf, Kirchenlaibach, Emtmannsberg und Weidenberg umschrieben ist, wurde auch das Kerngebiet der Frankenpfalz im 8. und 9. Jh. zunächst von Slawen kolonisiert, worauf noch viele Ortsnamen, Gewässer- und Landschaftsbezeichnungen hindeuten. Urwaldhänge und Sumpfniederungen bestimmten damals die Landschaft, Altstraßen auf Höhenrücken durchzogen sie, die schon seit der Karolingerzeit dem Handelsverkehr zwischen Franken und Böhmen dienten. Schon vor dem Jahr 1000 n. Chr. errichteten Franken, von Norden und Westen kommend, z.T. in herrschaftlichem Auftrag Siedlungen, blieben aber mit der slawischen Bevölkerung in friedlichem Einvernehmen.

 

Im Jahr 1008 verlieh König Heinrich II., der nachmalige Kaiser, die ganze Gegend bis Kemnath seinem im Jahr zuvor gegründete Lieblings-Erzbistum Bamberg als wirtschaftliche Basis. Kirchlich war und blieb der Bereich aber stets in Regensburger Zuständigkeit. Das Gebiet wurde großflächig gerodet und urbar gemacht und zunehmend auch von Bayern besiedelt. Als erzbischöfliche Vogtei kam es in Besitz der mächtigen Herren von Hopfennohe, deren Herrschaftgebiet sich von der Fränk. Schweiz bis vor Regensburg erstreckte. Später fiel es als Erbe an die Landgrafen von Leuchtenberg, die als Rivalen der Wittelsbacher mit ihnen wiederholt in kriegerische Händel verstrickt waren.

 

Als sie wegen der Folgen ihrer Fehden in Geldnot gerieten, veräußerten die Leuchtenberger im Jahr 1283 in zwei Verkaufsurkunden ihre Gebiete rund um Waldeck. Der Teil um den Rauhen Kulm fiel an die Burggrafen von Nürnberg; er kam später an ihre Nachfolger, die Markgrafen, und blieb seit der Reformation evangelisch.

 

Der andere Teil mitsamt Kirchenpingarten, dem später erloschenen Altenpingarten und weiteren urkundlich benannten Orten des Gebietes kam an den Wittelsbacher Pfalzgrafen bei Rhein und Herzog von Bayern, Ludwig den Strengen.
In der Verkaufsurkunde von 7.3.1283 findet sich die älteste schriftliche Erwähnung von „Chirchenpingart“ (der „Bienengarten bei der Kirche“). Angesprochen ist damit das alte Handwerk der Wildbienenzeidlerei, das damals etwa 1 km südöstlich zwischen Kirchenpingarten und Altenpingarten durch Anlegen von Fichtenbaumhöhlen betrieben wurde. Das heutige Ortswappen mit Pfälzischem Löwen, Bienenkorb und vier Bienen für die einst selbstständigen Orte Kirchenpingarten, Lienlas, Reislas und Tressau auf dem blauen Band mit den Leuchtenberger Farben will auf dieses Stück Geschichte hinweisen (Bild).
Alte Gründungen sind auch die meisten anderen Orte der Gegend. Schon 1181 wird das Dorf Kirmsees zum Kloster Speinshart gehörend genannt. Die Ortschaft war Grenzort zwischen Nordgau und Radenzgau und später zwischen dem Markgräflichen Bayreuth und der Oberen Pfalz. Muckenreuth wird ebenfalls 1181 erstmals urkundlich erwähnt. Fuchsendorf, Eckartsreuth und die Weiler Grub und Dennhof werden 1378 als Weidenberger Besitz beurkundet. Auch die Orte Flinsberg, Hahnengrün, Herrnmühle, Langengefäll und Schmetterslohe gehören zu dem Gebiet.

 

Über Jahrhunderte war die „Frankenpfalz“ zwischen der Kurpfalz und den Markgrafen von Bayreuth strittig. Lehensobrigkeit und Landesherrschaft wechselten des Öfteren. Die Neueinteilung aller Bayerischen Provinzen im jungen Bayerischen Königreich seit 1808 durch Maximilian Joseph, der zunächst die charakteristischen Flussnamen zur Benennung verwendete, verleibte die Frankenpfalz dem „Mainkreis“ ein, der von Pottenstein über Bayreuth bis nach Tirschenreuth reichte, später dem „Obermainkreis“. Die Neugliederung 1837 teilte dann die neu geschaffene „Oberpfalz“ von dem ebenfalls neuen „Oberfranken“ und seinen Landgerichtsbezirken ab, zu denen nun das Landgericht Weidenberg mit Kirchenpingarten, Lienlas, Reislas, Tressau und weiteren 16 Orten im Umkreis zählte. Mit der Bayerischen Landgerichtsreform von 1857 verblieb die Frankenpfalz bei Weidenberg und wurde mit ihm dem Bezirksamt Bayreuth unterstellt.

 

Dass die „Frankenpfalz“ im überwiegend protestantischen Oberfranken katholisch geprägt ist, fällt auf und ist Folge der vom protestantischen „Winterkönig“ Friedrich V. von der Pfalz verlorenen Schlacht am Weißen Berg bei Prag im 30-jährigen Krieg 1620. Als Volksbewegung hatte der Lutherische Glaube bis dahin auch die Frankenpfalz erfasst und vollständig durchdrungen; der mehrfache Bekenntniswechsel der pfälzischen Herrscher zwischen Luthertum und Calvinismus hatte allerdings auch Ärger ausgelöst; man wollte lutherisch bleiben. Nach dem Herrschaftsverlust der Pfälzer führten die neuen bayerischen Herren eine drastische, obrigkeitlich gelenkte Rekatholisierung der Pfalz mit Hilfe der Jesuiten und angeordneten Zwangsmaßnahmen mit Hilfe von Polizei und Soldaten durch, der aber in der Frankenpfalz einzelne Gemeinden und Personen noch bis zu 100 Jahre lang widerstanden.

 

Seit etwa 130 Jahren gibt es auch wieder Evangelische in der Frankenpfalz, einige als Neusiedler, andere durch Einheirat. Im Rahmen unterschiedlicher kommunalpolitischer Zweckbündnisse hält die Gemeinde heute Verbindungen zu ihren Nachbarn über alle einstigen und heute noch bestehenden Grenzen hinweg. Durch den von Bürgermeister Klaus Wagner und Pfarrer Taegert 2007 konzipierten „Jakobusweg Fichtelgebirge“ ist die örtliche Jakobuskirche auch eingebunden in das europäische Netz der Jakobswege und ein Element des ökumenischen Teilstücks von Marktschorgast (katholisch) über Weißenstadt (evangelisch) nach Creußen (evangelisch).

 

Literaturhinweis:
Buchbesprechungen siehe DER SIEBENSTERN 2010, S. 152 - 153

Bayern-Fichtelgebirge