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Drechselstein oder Semmelstein ?

Von Martina Gorny und Dietmar Herrmann

Östlich der Talstation-Süd des Ochsenkopfliftes, im Ortsteil Fleckl der Gemeinde Warmensteinach, steht das Bullhead-House. Früher war es das Wanderheim „Ochsenkopfhaus“ des Fichtelgebirgsvereins. Hier beginnen markierte Wanderwege zur Quelle der Fichtelnaab oder zum Ochsenkopfgipfel. Etwa 100 Meter vom Bullhead House bergan kommen wir an eine gewaltige Granitfelsburg, die nicht nur einen bedeutenden geowissenschaftlichen Wert hat, sondern auch heimatkundlich bedeutend ist. Drechselstein oder Semmelstein wird heute die Felsgruppe genannt.

Durch das Ochsenkopfgebiet verlief früher die Landesgrenze zwischen den selbständigen Fürstentümern Oberpfalz-Bayern und der Markgrafschaft Bayreuth. Dem Grenzvertrag, der im Wortlaut vorliegt, entnehmen wir, dass für Abmarkungszeichen bevorzugt Felsen oder Felsgruppen verwendet wurden, in welche man Kreuze und fortlaufende Ziffern einmeißelte. Im Protokoll des Grenzverlaufs von 1536 lesen wir u.a.: „Darnach zu bayder Fürsten Hauptmarck einer, inn vermog ihrer position der Drechselstein genannt, daran von allter und ytzt baider Fursten wappen und 48 sambtt einen + eingehieben ist...“. Tatsächlich finden wir an der Ostseite des Felsens, an dem der markierte Wanderweg vorbeigeht, ein eingemeißeltes Kreuz, darunter die Ziffer 48. Links daneben dann das bayerische Wappen, auf der rechten Seite das der zollerischen Burggrafen von Nürnberg bzw. Markgrafen. Wie man dem Protokoll entnehmen kann, wurden die Wappen „von allter“, also schon vor 1536 eingemeißelt, wahrscheinlich bei der ersten Grenzfestlegung. Rätsel gibt uns zunächst die Bezeichnung Drechselstein auf, da bisher jegliche Namensdeutung fehlt.

Name Drechselstein

Der Name Drechselstein ist im Bergbaugeschehen zu suchen, denn im Ochsenkopfgebiet wurde an verschiedenen Stellen Eisenglimmer abgebaut. Bei der Grenzbeschreibung von 1536 finden wir bei den Grenzsteinen Nr. 46 und 47 den Hinweis „auff dem Fuesswerch genantt“. Bei der Bezeichnung „Fuesswerch“ (= Fußwerk) handelt es sich um ein ehemaliges Bergwerk. Die Grube beim Fußwerk wird urkundlich schon 1404 erwähnt, muss aber wesentlich älter sein. Die Grube beim Fußwerk wird noch 1520 erwähnt und 1584 grub man Schlacke, die dort lagerte und angeblich vom Bergwerk stammte, ab und verarbeitete sie nochmals in einem Hammerwerk an der Steinach. Abbauspuren in der Landschaft sind noch gut sichtbar. Die Bezeichnung Fuß- oder Tretwerk ist sehr alt und weist auf die Erzgewinnung (z.B. Blasebalgbetätigung) durch Menschenkraft hin. Später wurde die Wasserkraft der Bachläufe eingesetzt. Das Bergwerk „beim Fußwerk“, das zum Oberpfälzer Bergbaurevier gehörte, wurde bis 1623 betrieben.

In der Bergwerks-Historie 1741 von Kretschmann erfahren wir, dass u.a. „der Drechsel von Neu Haus“ im Jahr 1478 hinten am Fichtelberg (=Ochsenkopf) gegen den Geyersberg eine Fundgrube zu St. Georgen empfangen hat. Handelt es sich hier um den Personennamen Drechsel, nachdem dann der Drechselstein benannt wurde?

Name Semmelstein

Die Felsengruppe liegt im Bayerischen Staatsforst, zuständig ist der Forstbetrieb Fichtelberg. In älteren Beschreibungen von 1811 oder 1817 wird die Bezeichnung Semmelstein verwendet, ohne dass dort eine Namensdeutung erfolgt. Bei der Einteilung der Wälder in Forstbezirke wurde auch der Name Semmelstein verwendet. Das Landratsamt Bayreuth hat die Felsbildung 1954 als Naturdenkmal geschützt, wobei ebenfalls der Name Semmelstein verwendet wurde. Außerdem hat das Bayerische Geologische Landesamt den Felsen im Geotopkataster Bayern als Semmelstein erfasst.

Die Behauptung, der Felsen habe seinen Namen von seinem Aussehen erhalten, kann letztlich nicht befriedigen. Wenn der Name Semmelstein eine spätere volkstümliche Bezeichnung des Drechselsteins ist, dann muss es dafür eine plausiblere Erklärung geben.

Dabei lohnt es sich, die Namensdeutung eines ebenfalls Semmelstein genannten, jedoch künstlich gesetzten Grenzsteins bei Reichenbach/Rudolstadt in Thüringen auf der Internetseite über Sühnekreuze anzuschauen. Grundsätzlich muss man wissen, dass in der Heraldik (Wappenkunde) eine Raute ursprünglich mit dem Wort „Weck(e)“ bezeichnet wurde. Das Wort Wecke geht auf einen indogermanischen Wortstamm für Keil zurück und hat insofern etwas mit dem Backwerk zu tun, als das seit alters her als „Spitzbrötchen“ hergestellte keilförmige Gebäck die Form einer Raute (= Wecke) hat und deshalb ganz einfach „Wecke“ genannt wurde. Weil man dieses Gebäckstück jedoch je nach örtlichem Dialekt auch als „Semmel“ bezeichnete, wurde der Grenzstein in Thüringen nicht Weckenstein, sondern analog dem thüringischen Dialektnamen für das rautenförmige Brötchen im Volksmund Semmelstein genannt. Der Name kann somit von den Rauten im Wappen auf dem Grenzstein hergeleitet werden.

Somit wird eine plausiblere Namensdeutung des Semmelsteins in Fleckl möglich, denn wir haben auf diesem Grenzfelsen im Wappen der Wittelsbacher die typischen Rauten (= Wecken) eingemeißelt. Dieses eigentümliche Wappen fiel den Einheimischen offenbar besonders ins Auge bzw. war für sie ein sehr wichtiges Zeichen. Im Dialekt der damals ansässigen Bevölkerung wurden die bayerischen Rauten als Semmeln bezeichnet. Damit wurde der große Grenzfelsen mit dem besonderen Rauten-Wappen zum Stein mit den Semmeln, kurz zum Semmelstein. Ein Licht wird dadurch auch auf die Sprache und damit die Herkunft der diese raue Gebirgsgegend besiedelnden Menschen (Bergleute) geworfen, denn Brötchen werden auf Fränkisch „Labla“ genannt.

Einen Semmelbaum (auch Sembl genannt) gab es nach Dr. W. Singer im Reichsforst nordöstlich des Silberrangens in der sogenannten „Tettlohe“. Da es sich um einen Grenzbaum zur Oberpfalz handelte, wird der Baum hier ebenfalls das Wappen mit den Wittelsbacher Rauten getragen haben.

Interessant wäre es zu erfahren, ob es noch weitere Semmelsteine im Fichtelgebirge gibt. Darüber gibt es einen Hinweis für einen Semmelstein am Schneebergwesthang von Otto Grießhammer aus Münchberg, dessen genauer Standort hier nicht bekannt ist.








Spitzbrötchen in Rautenform (= Wecken)



Wittelsbacher Wappen am Drechselstein

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